Der Weg zum Glueck ist ausgeschildert
deutschen Sprache erst 1160 auf, hundert Jahre nach Entstehen des Mittelhochdeutschen. Seinen Ursprung leiten manche vom mitteldeutschen »gelücke« ab, was in etwa »passend« bedeutet, andere von der Luke, hinter der etwas verschlossen wurde. Während germanische Sprachen mit einem Wort für »Glück haben« und »Glück empfinden« auskommen, unterscheiden andere Sprachen sauberer. Wie das lateinische fortuna sich auf ein Glück bezieht, das einem in den Schoß fällt, so drücken auch das englische luck und fortune im Französischen den glücklichen Zufall aus; happiness und bonheur meinen einen Seelenzustand. Genauer differenzieren da lateinische Bezeichnungen. Felicitas bezeichnet das Glück, an dem ein Mensch mitwirkt. Er ist seines Glückes Schmied, profitiert aber auch von glücklichen Umständen. Beatitudo umfasst ein glücklich vollendetes Leben, das sich eigenem Verdienst und göttlichem Beistand verdankt, dessen Fülle also erst im Alter sichtbar wird. Sanskrit, die Sprache des alten Indiens, kennt etwa ein Dutzend Wörter für die verschiedenen Weisen, Glück zu empfinden. 30
Trotz des Einzugs in die deutsche Sprache fristet das Glück im Mittelalter allerdings ein Schattendasein. Ohnmächtig gegenüber äußeren Schicksalsschlägen, in Furcht vor kirchlichen Autoritäten und weltlichen Herrschern, vor sich ein kurzes, arbeits- und entbehrungsreiches Leben, vermittelt dem Gros der Bevölkerung vor allem das Gefühl der Gottes-Kindschaft gewisse Geborgenheit. Vorausgesetzt, man entkommt den allerorts lauernden Sünden und damit der ewigen Verdammnis. Das Glück religiösen Glaubens wurzelt im Vertrauen auf einen unergründlich weisen Weltenlauf und in der Hoffnung, nicht tiefer zu fallen als in Gottes Hand. Über die Härte des gottesfürchtigen Lebenswandels trösten Theologen mit der entschädigenden Glückseligkeit im Paradies hinweg. In der Bibel kommt Glück kaum vor. 31 »Glück scheint etwas Gottloses anzuhaften«, kommentiert die Hamburger Bischöfin Maria Jepsen, weshalb im Alten und Neuen Testament das Wort nur äußerst sparsam verwendet wird. 32
Mit der Aufklärung hellt sich das irdische Jammertal auf. Glück, Erfolg, der Sinn des Lebens erfüllen sich bereits im Diesseits. Ein gottgefälliges Leben beruht vor allem auf Fleiß.
In der Tradition Epikurs bricht Madame du Châtelets »Discours sur le bonheur« Mitte des 18 .Jahrhunderts eine Lanze für die Sinnlichkeit. In ihrer »Rede vom Glück« stimmt die Marquise ein Loblied auf Genuss und Leidenschaften an: »Man tut gut daran, den Papst statt um Ablass um Versuchungen zu bitten.« 33 Doch auch die Exgeliebte Voltaires rät zur Mäßigung, damit der Genuss nicht zum Überdruss gerinnt. Von heutigen Glücksexegeten kaum zur Kenntnis genommen, weicht Emilie du Châtelets Diskurs ab vom Kanon männlicher Stimmen. Statt in abstrakter Höhe zu theoretisieren, gibt die mathematisch begabte Privatgelehrte im geistreichen Plauderton persönliches Lieben, Sehnsüchte, Enttäuschungen und Leiden preis und lässt erstmals anklingen, wie befriedigend eine wissenschaftliche Betätigung auch für Frauen sei.
Während in den Gewächshäusern der Romantik die blaue Blume blüht 34 , widmet sich im 18 . und 19 .Jahrhundert eine Flut von Schriften seelischen Schattenseiten und Dämonen. Die Beschäftigung mit Melancholie, Suizid und Hypochondrie ist das Umfeld, in dem Arthur Schopenhauer seine rabenschwarze Weltsicht platziert. Unser Daseinszweck sei nicht, das Leben zu genießen, sondern es zu überstehen. Neun Zehntel unseres Wohlbefindens verdanken wir der Gesundheit, deshalb sei sie das höchste Gut, verkündet der Philosoph. Das Streben nach mehr Glück verschärfe nur das Leiden an dessen Abwesenheit. Wer alle Hoffnung fahren lasse, werde entschädigt durch einen realistischen Blick auf die irdische »Hölle«, in der wir uns allenfalls »eine feuerfeste Stube« verschaffen können, bis der Tod uns endlich daraus befreit. 35
»Heile Deine Gedanken«. Der Titel des 1902 erschienenen Buches von James Allen klingt wie eine Replik auf so viel Düsternis. Der englische Schriftsteller, der nach schweren Jugendjahren ein ruhiges Leben führte und sich außer dem Schreiben und Lesen dem Meditieren und Gärtnern widmete, beschäftigt sich als einer der ersten mit dem Thema der Selbstfindung. Bevor Sigmund Freud die Macht des Unbewussten entdeckte, ging er davon aus, dass Unbewusstes ebenso viel Einfluss auf unser Handeln hat wie bewusste Gedanken. Unser
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