Der Weg zum Glueck ist ausgeschildert
betreut. Ich glaube, vor dem Tod keine Angst zu haben. Zu meiner Mutter habe ich die größte Nähe entwickelt, als sie unheilbar an Krebs erkrankt war. Der Tod meines ältesten kranken Bruders war für ihn eine Erlösung und für uns eine Erleichterung, aber seine Beerdigung war furchtbar. Ich hatte das Gefühl, er hat niemals ein richtiges Leben gehabt. Die Todesserie in unserer Familie hat bei mir keine biographischen Brüche verursacht, trotzdem hat sie meinen Blick auf die bemessene Lebensspanne verändert. Ich weiß um mein Risiko, dass ich jederzeit einen Herzinfarkt kriegen kann, und dann ist Sense. Das schärft das Bewusstsein: Heute lebe ich noch!
In der hellenistischen Philosophie wird das reine Glück oft angesehen als das wunschlose Schauen und als Ruhe, die der Meeresstille mit leicht gekräuselten Wellen ähnelt. Dem steht das orgiastische Glück aus aktivem Gelingen und starker sinnlicher Erfahrung gegenüber. Für mich hat Glück beide Seiten: Es ist lustvolle Bedürfnisbefriedigung, dann wieder ein Zustand völliger Bedürfnislosigkeit. Aber ich stecke noch voller Wünsche. Immer wenn man Träume lebt, bleiben ja andere Träume, die dadurch nicht gelebt werden. Ich würde gern Yoga machen, ich habe viel zu wenig Belletristik gelesen und ich möchte wieder besser Klavier spielen lernen. Mitunter jammere ich auch über dieses und jenes, aber wenn ich beobachte, jetzt rutsche ich in eine Dauerklage, versuche ich etwas zu ändern. Wenn ich es nicht tue, ärgere ich mich mehr über mich als über die jeweilige Situation.
Klaus Schumann: »Lieber wenig und erstklassig als viel und mittelmäßig.«
Mehrere Treppchen führen ins Souterrain zu seinem Atelier im ruhigen bayerischen Viertel in Berlin-Schöneberg. Im Vorraum mit grün berankter Tapete hängen etwa 60 Modelle, Kostüme, Kleider, Mäntel und Jacken, jedes ein Unikat. Ausgefallene Stoffe stapeln sich in Regalen; im winzigen Ankleideraum nehmen zwei Rokokosessel ein Viertel der Fläche ein und unterstreichen das Motto »Klein, aber fein« mit jenem Mut zur Lücke, die stilistisches Empfinden vor angestrengtem Glanz bewahrt. Der Sinn für bewusst gesetzte Effekte gehört zu seinem Metier. Klaus Schumann ist Couturier und einer jener Modeschöpfer, die in der Nachkriegszeit den Glanz der einstigen Modemetropole wieder aufleben ließen. Mit einer Kollektion von Klaus Schumann führte 1967 Vivie Bach das Farbfernsehen ein. Zu jeder angesagten Farbe enthüllte sie nach dem Zwiebelprinzip das passende Kleid.
Ein unverwüstlicher Einzelkämpfer. Als die Modebranche nach dem Mauerbau die Frontstadt verlässt, bleibt der gebürtige Berliner bei der Stange. Marktstrategien statt Nadeln einzufädeln, sei für ihn »zwee Nummern zu groß gewesen«, begründet der große, schlanke Mann mit blauen Augen und grauem Haarkranz, weshalb er sich dem Trend »Mode für Millionen und nicht für Millionäre« widersetzte und sich mit ungewöhnlichen Schnitten und handwerklicher Sorgfalt in Berlin einen Kundenkreis eroberte. Die fröhliche Unermüdlichkeit, mit der Klaus Schumann bis heute jährlich zwei Modenschauen auf die Beine stellt und mit sprudelnder Eloquenz moderiert, ist einer der Gründe, weshalb ich ihn um ein Gespräch bitte. Auch die Lebenseinstellung des stets perfekt gekleideten 70 -Jährigen, den ich häufig durch mein Viertel radeln sehe, macht mich neugierig. »Ich lebe nach der Devise: Lieber ein gutes Brötchen vom Bäcker als ein großes Brot von Aldi«, pointiert Klaus Schumann sein Talent, sich wählerisch auf geringen Besitz zu beschränken.
Als wir uns zum Interview treffen, sieht er strahlend erholt aus. Gerade ist er von einer Indienreise zurückgekehrt, sei »noch ganz verfangen im arabischen Meereswind«. In unseren mehrmaligen Gesprächen springt Klaus Schumann gern von einem Gedanken zum anderen, von Erinnerungen oft bewegt. »Über Gefühle wurde bei uns zu Hause nicht geredet. Vielleicht bin ich deshalb so schnell überwältigt«, erklärt er und überlässt es mir, immer wieder den roten Faden zu finden und gelegentlich Widersprüchliches durch Nachfragen zu glätten.
Ich habe mir mal die Gegenfrage gestellt: Was macht mich nicht glücklich? Und habe festgestellt, dass es gar nicht so viel gibt. Also, einen Lottogewinn finde ich was Grauseliges. Meine Reise hat mich auch deshalb glücklich gemacht, weil ich jeden Hunderter, den ich in Indien ausgegeben habe, erarbeitet habe. Ich habe manchmal geheult, so schön war es. Man kommt
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