Der Weg zum Glueck ist ausgeschildert
akzeptieren könnten, dass jeder seinen eigenen Weg finden muss. Meine private Grundsicherung ist natürlich ein großes Privileg, das noch größere Privileg ist, dass ich mit mir selber etwas anfangen kann und gelernt habe, meine Zeit zu organisieren. Am zufriedensten bin ich, wenn ich sechs Stunden am Tag gezielt etwas mache, das können Renovierungsarbeiten sein, oder ich lese ein anstrengendes Buch. Wenn ich deutlich drunter bin, habe ich zwar kein schlechtes Gewissen, das habe ich mir abgewöhnt, aber mich bedrückt, dass ich der Kürze des Lebens nicht gerecht werde. Wenn ich länger gezielt tätig bin, empfinde ich das als selbst auferlegte Gefangenschaft. Wobei ich gern mehr übernähme, wenn meine Frau dafür im Garten liegen würde. Dass sie immer mehr arbeitet, ist ein Konflikt zwischen uns. Ich ziehe mich dann auf die Gegenposition zurück, habe den Impuls, sie hängenzulassen. Ich war optimistisch, dass es finanziell reicht und ich ein Teil meines Erbes aufbrauchen darf. Christel war eher pessimistisch, aber sie hat durch ihre Arbeit dafür gesorgt, dass mein Optimismus übertroffen wurde. Unser Konto ist nicht abgeschmolzen, unser Besitz ist noch gewachsen.
Obwohl das Graecum eine Hürde war, wollte ich von vornherein ein ordentliches Studium absolvieren und mir nicht nur die Rosinen rauspicken. Nach dem Magisterabschluss möchte ich ohne Stress wieder berufstätig sein und plane, eine philosophische Praxis zu gründen. Zwischen theologischer Seelsorge und Psychotherapie sehe ich eine Lücke, in diesem Bereich will ich Einzelberatung und Seminare anbieten, beispielsweise zu den Themen »Müßiggang –Tätigsein– Arbeit. Was ist der Beruf des Menschen?« Oder »Endlich leben«, also Leben im Bewusstsein der eigenen Sterblichkeit. Das ist sinnvoll, und ich will ja etwas Sinnvolles tun. Unabhängig von der Berufsperspektive empfinde ich es als befriedigend, allmählich die Entwicklungsgeschichte der abendländischen Philosophie zu überblicken. Es ist wie beim Bau einer Domkuppel. Am Ende schließt sich alles, die Steine tragen sich gegenseitig.
Ein Verlust meines derzeitigen Lebens ist vielleicht, dass ich mich nicht mehr aufs Wochenende freue. Ich finde Werktage großartig. Wenn die Geschäfte aufhaben, und ich ein Seminar besuche. Seitdem ich nicht mehr arbeite, erlebe ich die Jahreszeiten dramatisch anders. Früher ging ich in den Wintermonaten im Dunkeln in die Praxis und verließ sie manchmal erst, wenn es schon wieder Nacht war. Jetzt gehe ich raus, wenn im Winter mittags die Sonne scheint. Ich sehe kaum noch fern, surfe aber häufig im Internet. Und zu Hause gucken einen ja ständig Dinge an, die erledigt werden müssen. Vom Keller bis zum Dachboden ist die Bude voll. Da sind Christel und ich sehr gegensätzlich. Christel sammelt Zeitschriften, die sie irgendwann einmal lesen will. Wenn ich meine, diese Teller könnten wir doch entsorgen, verweist sie auf das Fest, dass wir vielleicht in zwei Jahren mit 100 Leuten machen. Die lehrreiche Erfahrung auf meiner Wanderung war, dass ich alles, was ich brauche, tragen kann. In dieser Zeit habe ich oft gedacht: Was für einen Kruscht haben wir zu Hause. Seitdem bedenke ich viel mehr, was ich mir da auflade, wenn ich etwas kaufe.
Ich bin heute zufriedener mit meinem Leben, fühle mich nicht mehr als Sklave meiner Pläne, bin mit mir selbst enger im Kontakt. Aber ich weiß inzwischen auch, was es heißt, wenn man aus Rollen fällt. In Tübingen haben alle Leute eine Meinung über mich. Ich könnte sagen: Warum kümmert mich die Aversion, die zwischen den Ritzen manchmal rauslugt? Doch mitunter sehne ich mich nach der Anonymität einer Großstadt. Wenn ich in der Berliner Wohnung bin, genieße ich es, keinen fremdgesteuerten Tagesrhythmus zu haben. Gegen acht Uhr stehe ich auf, trinke Kaffee, lese oder schreibe bis mir der Kopf dröhnt, dann schwinge ich mich aufs Fahrrad, schaue mir eine Ausstellung an und muss schon überlegen: Kriege ich das Abendessen noch unter, bevor ich ins Konzert, Theater oder Kino gehe? Die intensivsten Glücksmomente habe ich beim Musizieren. Einmal pro Woche machen wir in Tübingen mit Freunden Kammermusik, danach essen wir gemeinsam. Anders als beim Essen, wo der Bauch irgendwann voll ist, klingt das Glücksgefühl auch nach dem Konzert nach, die Musik bleibt in mir.
Zur Zeit beschäftige ich mich im Rahmen meiner Magisterarbeit mit Todesvorstellungen, ohne den Glauben an ein Jenseits. Als Arzt habe ich oft Sterbende
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