Der Weg zum Glueck ist ausgeschildert
raus aus meiner engen Welt in eine andere soziale Schicht; mein Freund ging respektvoll und gut mit mir um. Nach zwei Jahren wollten wir zusammen verreisen und haben meinen Eltern reinen Wein eingeschenkt, dass wir miteinander schliefen. Mein Vater reagierte mit Autorität: Es wäre ihm lieber gewesen, ich hätte ihn belogen. Wir mussten versprechen, in der Jugendherberge zu übernachten. Seine Doppelmoral schockierte mich. Doch seine Macht über mich war so groß, dass wir uns weitgehend an seine Bedingung hielten und eben tags am Strand beieinanderlagen. In dieser Zeit entdeckte ich Optimismus als Chance. Ich beschloss, das Leben von seiner positiven Seite zu nehmen. Wir malten uns aus, einmal sechs Kinder zu haben, einen Hund und einen Kamin. Als ich diesen Freund vor einigen Jahren wieder traf, kehrte die alte Vertrautheit sofort zurück, ohne jede Nostalgie.
Auch mit meinem zweiten Freund habe ich noch Kontakt. Unsere Beziehung scheiterte daran, dass er sich weigerte, mit mir zu träumen. Ich wollte unbedingt Kinder, aber er mochte sich nicht festlegen. Mit ihm verbinde ich viel Körperliches. Nicht in erster Linie Sex, sondern Sportliches: Tagelang gemeinsam zu surfen, ohne an irgendetwas anderes zu denken. Früher hatte ich in Männerbeziehungen ein starkes Verlangen nach Nähe, Wärme, Verschmelzung, Sexualität war nie das Wichtigste. Sexualität ist für mich so etwas wie ein hygienischer Prozess. Ab und zu tut es gut, aber ich genieße es heute sehr, wenn ich nachts das Bett für mich allein habe. Die Natur hat es ja klugerweise so angelegt, dass man Sex weniger braucht, wenn man faltiger wird.
Imre, mein späterer Mann, studierte wie ich an der Dolmetscher-Hochschule in G. Ich hätte liebend gern etwas Künstlerisches studiert, meine Eltern wären jedoch in Ohnmacht gefallen, wenn ich den Wunsch geäußert hätte, Schauspielerin oder Sängerin zu werden. Imre war für mich ein Weltbürger, er hatte lange in Spanien gelebt. In der ersten Zeit haben wir ganze Wochenenden im Bett verbracht. Wir tauchten ein in eine Symbiose. Imre war humorvoll, schräg, eher introvertiert. Glück strahlte er nicht aus. Seine Eltern starben bei einem Flugzeugabsturz, danach war seine Jugend wirr und düster. Doch er hatte das Talent, in den Tag hinein zu leben. Er konnte kleine Dinge sehr genießen, mit der Kehrseite, dass zum guten Essen auch Alkohol gehörte. Nach dem Studium hatten wir beide gut bezahlte Stellen als Sprachlehrer für das Postministerium. Wir haben geheiratet, als unser erster Sohn unterwegs war, ein Wunschkind. Damals zeigte sich bereits Imres Alkoholproblem.
Als unser zweiter Sohn geboren war, arbeitete ich nicht mehr als Übersetzerin und begann, mich wieder um meine musischen Interessen zu kümmern. Unsere Kinder, die Waldorfpädagogik haben in mir einen Kreativitätsschub ausgelöst. Ich habe gemalt, nahm Gesangunterricht, sang im Kammerchor. Imre dolmetschte oft in Südamerika. Ich habe ihn häufig beneidet und viel Mitarbeit von ihm gefordert, wenn er nach Hause kam, da ich meinte, dass ich den schlechteren Part hatte. Nur Hausfrau und Mutter zu sein rangierte für mich unten auf der gesellschaftlichen Werteskala. Imre hat meinen Selbstfindungstrip gutherzig toleriert, er selbst lebte sehr konkret im Hier und Jetzt. Wahrscheinlich fühlte er sich in den letzten Jahren unserer sechsjährigen Ehe und elfjährigen Beziehung oft vernachlässigt und allein. Er litt darunter, dass ich mich von ihm entfernte. Als ich erfuhr, dass er an einem Morbus Crohn sterben würde, bekam ich heftige Schuldgefühle. Ich dachte: Ich habe ihn im Stich gelassen, und das ist jetzt sein einziger Ausweg.
Auf Imres Beerdigung sagte sein Bruder, Imre habe in mir und den Kindern Halt und ein Zuhause gefunden. Erst da wurde mir bewusst, wie viel wir ihm bedeutet haben. Unser Reihenhaus war für ihn ein Ort, um endlich Wurzeln zu schlagen, während ich die Flügel ausbreiten wollte und mich gegen alles Spießbürgerliche wehrte. Jeder von uns war an einem völlig unterschiedlichen Punkt. Er auf dem Weg zu etwas, ich noch auf dem Weg von etwas weg. Imres letzte Lebenstage waren schlimm, am schlimmsten jedoch waren die Wochen, in denen es immer neue Befunde gab und wir nicht wussten: Wo ist der Feind? Heute bedauere ich, dass wir Imre nach seiner zweiten Operation nicht mehr haben zu sich kommen lassen. Ich bin sicher, er hat trotzdem gespürt, dass ich bei ihm war. Ich hatte das Gefühl, dass er im Sterben alle Last abwirft und
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