Der Weg zum Glueck ist ausgeschildert
schwerelos hinübergeht.
Nach Imres Tod war ich in einem Zustand, der einer Euphorie sehr ähnlich ist. Man rückt ab von Alltäglichem. In mir war eine Begrenzung aufgehoben. Ich war viel sensibler, dünnhäutiger als sonst. Ich schlief kaum, hatte selbst keine Angst mehr vor dem Tod. Das hatte auch etwas Süchtigmachendes. Ich wollte, dass Imre eine schöne Beerdigung bekommt, fühlte mich aufgehoben und im Mittelpunkt durch die große Anteilnahme. Inmitten der Trauer empfand ich auch, wie ein neuer Lebensabschnitt begann.
Das so zu formulieren, habe ich mich lange nicht getraut. Gespräche über Tod werden ja oft reduziert auf den Verlust für die Angehörigen und auf den Trost, dass das Leiden des Verstorbenen vorbei ist. Was darüber hinausgeht, kommt kaum vor. Weil man nicht gern daran denkt und weil Menschen die Dimension nicht erfassen, selbst wenn sie das Sterben miterleben. Menschen meinen oft, Schmerz sei nur etwas Furchtbares und ahnen nicht, dass dahinter auch Qualitäten sind. Extreme Gefühle bedeuten Kontrollverlust. Und Kontrollverlust macht Angst. Vielleicht nehmen sich viele auch nicht die Zeit, Empfindungen in die eine oder andere Richtung auszukosten.
Dass ich wegwollte aus Bonn, wusste ich sehr bald. Die Vorstellung, dass Freundinnen mich mit ihren Kindern besuchen und irgendwann aufstehen und sagen: »Mein Mann kommt gleich nach Hause«, und ich sitze da und es kommt kein Mann nach Hause, war furchtbar. Die Kinder, sie waren sechs und vier, haben mein Bild aufgegriffen, dass ihr Papa bei den Sternen sei. Als sie erfassten, dass er nicht wiederkommt, reagierte der Jüngere mit Wutausbrüchen. Der Ältere flüchtete sich in Fantasien.
Wenige Wochen nach der Beerdigung reiste ich mit den Kindern zu Freunden nach Spanien, kurz darauf sind wir an die spanische Mittelmeerküste umgezogen. Die Wärme, die klaren Konturen der Steinhäuser im Licht, der Geruch nach Pinien und Meersalz waren Balsam für mich. Ich hatte das Gefühl, beim Schwimmen das Leid und Blut, das an mir klebte, abzuwaschen. Doch ich war lange sehr angegriffen. Viele meinten: »Deine Söhne sind dir doch ein großer Halt.« Die alleinige Verantwortung für sie, auch für ihren Kummer, habe ich jedoch als große Belastung empfunden. Mir wurde alles zu viel. Zum ersten Mal völlig unbeschwert war ich auf einem Dorffest. Eine Kapelle spielte Tanzmusik, ich saß mit Freunden in der lauen Nachtluft auf dem Dorfplatz, wir tranken Cognac, unsere schlafenden Kinder im Arm.
Zuversicht und Freude an den Kindern stellten sich erst wieder ein, als Manuel in mein Leben kam. Er wohnte im gleichen Dorf, strahlte für mich zunächst überhaupt nichts aus. Er war erst 24 , hatte die Schule abgebrochen, mit Ach und Krach eine Kochlehre absolviert, er entsprach nicht meinem Schönheitsideal. Seine einfühlsame Art mit den Kindern, seine Grundehrlichkeit und Zuverlässigkeit zogen mich immer mehr an. Mir gefielen seine klugen Bemerkungen. Manuel und ich haben dann gemeinsam mit Freunden eine Burg renoviert, die Jahrzehnte leer gestanden hat. Diese Schwerstarbeit war eine meiner glücklichsten Lebensphasen. Ich hatte einen Mann an der Seite, der im Nu alles Handwerkliche lernte, und ich schaffte es, von meinem Perfektionismus abzulassen. Innerhalb eines Jahres haben wir das Gemäuer bewohnbar gemacht. Obwohl Manuels Eltern mit Sorge sahen, dass ihr Sohn meinetwegen seine Stelle gekündigt hatte, nahmen sie mich herzlich auf.
Unser gemeinsamer Sohn war einige Monate alt, als wir im Team in dieser Burg 1998 ein Geburtshaus gründeten. Mich hat die neue berufliche Aufgabe gereizt. Und ich wollte anderen Frauen dazu verhelfen, eine so glückliche Entbindung zu erleben wie ich bei meinem dritten Sohn. Manchmal frage ich mich, warum kriege ich so gewaltige Herausforderungen gestellt? Aber ich suche sie auch. Heute weiß ich: Unser Projekt war von Beginn an zum Scheitern verurteilt. Die leitende Ärztin setzte sich permanent über ihre und anderer Grenzen hinweg, was sie zu Großartigem befähigte, was aber auch heillosen Schaden anrichtete. Ihre gefährlichen Allmachtsfantasien habe ich in meinem anfänglichen Rauschzustand nicht erkannt. Ich fühle mich hingezogen zu Menschen, die in irgendeiner Weise auf dem Weg sind und neige dazu, Schattenseiten erst einmal auszublenden. Als uns bewusst wurde, welches medizinische Risiko wir eingingen, stiegen Manuel und ich aus dem Projekt aus.
Der Moment, wo ich vor verschlossener Tür stand und das Zehner-Team
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