Der Weg zur Hölle
heimlich geliebten Person.
»Hielt Herr Koss Arbeit und Familie so sauber voneinander getrennt?«
Der junge Mann schob sich mit dem Daumennagel eine dunkle Haarsträhne aus dem Gesicht, die Sekunden später wieder zurückgefallen war. Vielleicht eine Art Tic.
»Ich hab ihn das auch mal gefragt. Schließlich hatte er nur noch eine Tochter, Er sagte, dass wir, wenn er hier ist, seine Familie sind. Und das stimmte! Wenn er wegging, durften wir ihn nie anrufen, aber solange er hier war, war er wie ein Vater zu uns.«
»Wirklich?«
Entweder entging Herrn Medchenwunder der leicht zweifelnde Ton der Kommissarin, oder er ignorierte ihn.
»Genau. Das wär gut für den Teamgeist, meinte er.«
»Und? Stimmte das?«
»Ja.« In Medchenwunders Stimme lag etwas, dass man als Inbrunst bezeichnen konnte.
Bella Weilandt brummte missmutig.
»Sie mögen das ja nicht glauben, aber Fernsehen machen ist hart.« Er schluchzte kurz und trocken. »Und wie Sie selbst gesehen haben: Journalisten leben gefährlich, wenn sie die Welt so darstellen, wie sie ist.«
»Vielen Dank Herr Medchenwunder«, sagte Wedelbeck rasch, vielleicht, um sich nicht mit dem blutjungen Mann über gefährliche Berufe unterhalten zu müssen. »Eine Frage noch: Wissen Sie von Leuten, die Herrn Koss … Sagen wir, nicht besonders mochten?«
»Absolut nicht. Aber Sie müssen bedenken, dass die Sendung bereits seit zehn Jahren lief. Nicht alle haben Dank der Beratung von Herrn Koss einen Neuanfang als Familie geschafft. Gerade Frauen mit Kindern befreiten sich oft aus unhaltbaren Situationen. Das macht natürlich Feinde, gerade unter den Vätern.«
»Wüssten Sie da jemand Bestimmtes?«
»Ich bin erst seit zwei Jahren dabei. Deswegen kenne ich viele der älteren Fälle garnicht. Na ja, das mit dem Meyer hätten wir vielleicht wissen können. Sowas kommt vor. Aber hier sind alle Geschichten aufgelistet. Wenn Sie selber schauen wollen?«
Er zeigte auf den gewaltigen Aktenschrank. Wedelbeck hob die Augenbrauen.
»Ja, danke. Gegebenenfalls werden wir hier nachforschen.« Es klang nicht, als hätte er große Lust darauf, Aktenberge durchzusehen.
Wir verließen diesen Ort überbordender Akkuratesse. Medchenwunder scheinbar widerwillig, als könnte er sich nicht lösen, Wedelbeck und seine Kollegin eher erleichtert.
Die Stimmung im Großraumbüro hatte sich merklich verändert, und ich brauchte einen Moment, bis ich begriffen hatte, warum.
Eine Frau stand im Raum, und aller Blicke waren auf sie gerichtet. Es schien, als wäre die Zeit stehen geblieben. Niemand bewegte sich. Sie war noch ganz jung, klein, zerbrechlich. Schließlich ging Hugh Simmons auf sie zu, umarmte sie und sprach ihr gedämpft sein Mitgefühl aus.
»Das ist Evelyn Koss«, wisperte Medchenwunder. »Die Tochter.«
Die Polizisten gingen auf die junge Frau zu, die die Umarmung des Firmenchefs starr über sich ergehen ließ. Als Simmons sie wieder freigab, streckte ihr Wedelbeck seine Hand entgegen.
»Guten Tag, mein Name ist Wedelbeck. Ich bin der ermittelnde Beamte, und ich möchte Ihnen zunächst unser Beileid zu Ihrem tragischen Verlust aussprechen.«
»Danke.«
Ich hatte mal gehört, dass der Anblick stummer Trauer viel schlimmer sei, als wenn reichlich Tränen flossen, hatte das aber als poetischen Blödsinn abgetan; als einen Versuch, der Beschreibung von Trauer eine besondere Note zu verleihen. Jetzt konnte ich mich davon überzeugen, dass doch etwas dran war. Evelyn Koss bewegte sich seltsam abgehackt, wie eine Maschine, in der etwas zerbrochen ist.
»Darf ich fragen, warum Sie hier sind?« Wedelbeck neigte den Kopf zur Seite, um Augenkontakt mit der jungen Frau herzustellen, was misslang.
Immerhin antwortete sie.
»Ich wollte es nur mal sehen.«
»Was wollten Sie sehen?«
»Das hier.«
Sie schaute sich den Raum genau an, machte dann plötzlich die Augen zu und sog ein paar Mal die Luft ein, als wolle sie den Geruch erkunden.
»Könnten Sie das genauer erklären? Wenn es nicht zu viele Umstände macht.«
Evelyn Koss sah den Polizisten immernoch nicht an.
»Mein Vater wollte uns hier nie sehen. Wir hatten striktes Verbot, ihn bei der Arbeit zu besuchen. Und ich dachte … ich dachte, jetzt kann ich es mir doch einmal ansehen. Oder nicht? Kann doch mal schauen. Jetzt kann er es mir nicht mehr verbieten. Er ist doch tot.«
Ich bemerkte nicht gleich, dass sie angefangen hatte zu weinen.
»Hier arbeiten so viele Leute«, sagte sie und wurde immer lauter. »Die haben hier doch
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