Der Weg zur Hölle
Wassermann.
Reemund wandte sich ihm zu.
»Sie gehen jetzt mal los und suchen sich alles zusammen, was Sie demnächst zu essen brauchen. Aber stecken Sie es nicht in den Mantel, das gibt nur Ärger.«
Der Obdachlose beeilte sich, der Aufforderung nach zu kommen.
»Erzählen Sie, Wedelbeck. Was wissen wir denn bis jetzt?«
»Nur, wenn Sie mir sagen, warum Sie auf einmal Obst einkaufen.«
»Sie zuerst.«
*
Einige Stunden zuvor hatte ich Wedelbeck und seine Kollegin Weilandt zu SIKOmedia begleitet, der Firma, in der Koss' Sendung produziert wurde. Zwei riesige Fabriketagen ohne abgeteilte Räume, aber dermaßen mit Schreibtischen vollgestellt, dass man an den Wänden entlang gehen musste, um ohne Zwischenfälle von einem Ende zum anderen zu kommen. Oder man musste ein Geist sein. Allerdings einer, dem die Berührung durch viele Menschen nichts ausmacht.
Wahrscheinlich ging es hier normalerweise zu wie in einem Bienenstock, aber heute war alles anders. Es waren zwar viele Leute im Raum, aber kaum einer bewegte sich, und wenn, dann nur langsam. Die meisten starrten in ihre Kaffeetassen und schwiegen. Trotzdem standen sie alle in mehr oder weniger großen Gruppen zusammen, so als würde es keiner von ihnen ertragen, mehr als einen halben Meter von anderen Menschen entfernt zu sein.
Aus einer besonders großen Gruppe löste sich ein dünner, nervös wirkender Mann, der nicht älter als vierzig sein konnte, obwohl er in erster Linie graue Haare auf dem Kopf hatte.
»Hugh Simmons«, sagte er mit britischem Akzent und schenkte den Beamten ein umgängliches Lächeln. »Mir gehört diese Firma. Was kann ich für Sie tun?«
»Zunächst einmal möchte ich Ihnen unser Beileid aussprechen«, sagte Wedelbeck und schüttelte ihm die Hand. »Wir sind hier, weil wir etwas über Herrn Koss' Arbeit erfahren wollen.«
»Haben Sie den Mörder schon?«
Wedelbeck zögerte merklich.
»Sagen wir, die Todesumstände sind komplex, und wir haben natürlich in alle Richtungen zu ermitteln. Sie als Journalist verstehen das sicher.«
»Natürlich, natürlich.« Der Journalist war geschmeichelt.
»Vielleicht könnten Sie uns etwas über Herrn Koss erzählen?«
Hugh Simmons winkte ab.
»Da gibt es geeignetere Leute. Sehen Sie: Herr Koss war vorwiegend mit seiner Sendung beschäftigt. Wir produzieren hier aber noch Anderes, was einen Großteil meiner Zeit in Anspruch nimmt. Stephan?«
Er winkte einen jungen Mann zu sich.
»Quasi Eduards rechte Hand. Genau der, den Sie brauchen. Ich darf mich verabschieden.« Und weg war er.
»Stephan Medchenwunder«, sagte der junge Mann und begrüßte die Polizisten mit Handschlag. »Wie das Mädchenwunder nur mit 'e'. Und ich kenne alle Witze zu dem Thema.«
Mit der anderen Hand fuhr er kurz über seine Wange, und ich war sicher, er hatte geweint.
»Ich kenne keine Witze«, sagte Wedelbeck.
Pause. Darüber dachten wir alle erstmal nach.
»Kommen Sie, gehen wir ins Büro von Herrn Koss«, sagte der junge Mann mit dem bedauerlichen Nachnamen, und wir anderen folgten ihm.
Das Büro bestand aus einem Glaskasten, der an die blanke Backsteinfassade gesetzt war. Es war vollständig mit Jalousien verdunkelt und machte alles in allem den Eindruck eines überdimensionierten Brutkastens. An der Rückwand stand ein beinahe deckenhoher Aktenschrank. Davor ein Schreibtisch, davor zwei Stühle. Der Raum wirkte in jeder Hinsicht aufgeräumt. Bauhausstrenge, durchaus geschmackvoll, aber ohne jede Wärme. Hier drin wurde gearbeitet, nicht gelebt.
Geister haben keinen ernst zu nehmenden Ordnungssinn. Einfach ausgedrückt bestehen wir aus nichts anderem als Gedanken, und die sind nunmal chaotisch. Wenn es wirklich stimmt, dass die Welt der Materie nach Gesetzen funktioniert, nach Konstanten, Göttern, Vererbungsregeln, Pi und Phi, dann sind Gedanken der Kontrapunkt und die menschliche Sehnsucht nach Ordnung einfach der Wunsch des Verstandes, hinter sich selbst aufzuräumen. Daher wahrscheinlich auch unsere Lust an Hobbys. Listen führen gegen die Sorge, von der chaotischen Macht des eigenen Denkens zerrissen zu werden.
»Hier drin ist es aber ordentlich«, sagte Bella Weilandt verblüfft.
»Ja«, antwortete der junge Herr Medchenwunder nicht ohne Stolz. »Herr Koss achtet streng darauf, dass alles an seinem Platz ist.«
Die Polizistin öffnete nacheinander die Schreibtischschubladen: Büroartikel, fein säuberlich in Themenbereiche gegliedert. Nichts Persönliches. Nicht einmal das versteckte Bild einer
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