Der Weg zur Hölle
wie beim Fußball: Neunzig quälende Minuten lang streiten sich zweiundzwanzig Leute um einen Ball, und nur ganz selten trifft jemand das Tor. Trotzdem bewundern Millionen von Fans die Spieler ausschließlich in dem Bewusstsein, dass sie selbst eine noch schlechtere Figur abgeben würden. Masochismus ist eben eine der stärksten menschlichen Triebfedern.
*
Reemund fuhr, nachdem er Wedelbeck im Büro angerufen hatte, direkt zu SIKOmedia und störte Hugh Simmons, den Chef, beim Vor-sich-hin-brüten, was an diesem Morgen und nach dem neuen Mord das Einzige zu sein schien, was er zustande brachte.
»A tragedy!«
Ein Schniefen. Keine Tränen.
Simmons war zu seiner Muttersprache zurückgekehrt.
»Was haben Sie gesagt?« Reemund saß ihm gegenüber. Er hatte sich nicht einmal die Mühe gemacht, seinen klatschnassen Mantel auszuziehen. Auf dem Weg von der Schule hierher hatte der Kommissar sein Fenster herunter gekurbelt, um den Regen so richtig schön ins Auto reinzulassen, und nun triefte er, als wären wir in einem offenen Cabrio unterwegs gewesen. Ein erstaunlicher Akt von Selbstgeißelung.
»Ich sagte, es ist eine Tragödie.«
»Ach das haben Sie gesagt. Sie müssen entschuldigen. Die Nacht war lang. Schließlich hatte ich Ihren Mitarbeiter wieder zusammenzusetzen.«
Simmons schluckte.
»Sehen Sie, Herr Simmons …«
»Nennen Sie mich Hugh.«
»Nein, das tue ich nicht.«
Pause.
»Wir haben jetzt zwei Morde aufzuklären. Beide Opfer haben in Ihrer Firma für die gleiche Sendung gearbeitet. Vielleicht könnten Sie mir etwas mehr erzählen. Über Herrn Koss und über Herrn Medchenwunder. Und vielleicht könnten Sie dabei auf die üblichen Nachrufe verzichten. Dafür wäre ich Ihnen sehr dankbar. Die Nacht war wirklich lang.«
Simmons verschluckte sich und hustete. Dann schniefte er noch einmal. Er war es offenbar nicht gewohnt, dass ihm jemand die Regeln des Gespräches diktierte. Aber wie alle, die es lieben zu herrschen, war er leicht unter Kontrolle zu bringen. Die Sucht nach Macht lässt sich nicht nur dadurch befriedigen, dass man sie ausübt, sondern eben auch durch das Gegenteil. Er begann also zu erzählen, als hätte man ihn höflich darum gebeten:
»Eduard Koss war streng, aber ein Menschenfreund. Und nur deshalb machte er das alles. Ich weiß nicht, wieviel Erfahrung Sie mit Psychologen haben, aber es ist selten, dass einer aus Nächstenliebe handelt. Die meisten in diesem Job, genau wie beim Fernsehen übrigens, verwandeln sich im Laufe der Jahre in kaltherzige Misanthropen, wenn Sie es nicht schon vorher waren. Eduard war anders.«
Reemund rutschte ungeduldig auf seinem Stuhl herum. Aus seinem linken Jackenärmel floss so viel Wasser, dass sich auf dem Boden eine kleine Pfütze bildete.
»Ich meine das wirklich so«, fuhr Simmons leidenschaftlich fort. »Er kam damals vor gut zehn Jahren zu mir und hat mir diese Sendung vorgeschlagen. Man müsse Familientherapien einem breiteren Publikum zugänglich machen, damit die Zuschauer sich in den dargestellten Problemen wieder finden und es vielleicht ein wenig besser machen. Nicht blind in jede Katastrophe rein laufen.«
»Ein Idealist«, sagte Reemund. Er sah aus, als wolle er im nächsten Moment mit Möbeln werfen oder einschlafen.
Simmons nickte.
»Genau. Ein Idealist.«
»Und Sie? Teilten Sie den Glauben an das Gute im Menschen?«
»Ich bin Geschäftsmann. Mir geht es in erster Linie darum, Geld zu verdienen. Und das finde ich nicht verwerflich. Die Zeiten sind schlecht für Idealisten. Wäre ich wie Koss, hätten wir das Projekt nie auf die Beine stellen können.«
»Na da bin ich aber froh, dass Sie beide sich gefunden haben«, knurrte Reemund und schüttelte sich Wasser aus dem Ohr.
Sein Gegenüber schniefte noch einmal.
»Nichtsdestotrotz habe ich es immer zu schätzen gewusst, dass Koss hier eine zweite Familie gefunden hatte. Wer immer für ihn arbeitete, fühlte sich beim ihm wie zu Hause. Das war seine große Gabe. Das und die Therapiearbeit natürlich.«
»Hab ich nicht gesagt, keine Nachrufe?«
»Aber was soll ich denn anderes sagen? Eduard Koss war einfach ein großartiger Mensch.«
»Es gibt keine großartigen Menschen.«
Simmons lächelte und drohte neckisch mit dem Finger.
»Da hat wohl jemand mit seinem Selbstwertgefühl zu kämpfen? Nicht wahr, Herr Hauptkommissar?«
Reemund sah aus, als wäre ihm durchaus nach Kämpfen zumute, allerdings nicht mit seinem Selbstwertgefühl.
»Trotzdem hat jemand Ihren helllichten
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