Der Weg zur Hölle
abzulassen.
Evelyn Koss wäre natürlich nicht als Spielfigur zugelassen gewesen. Wenn doch, hätte sie jeder haben wollen.
Sie stand während der gesamten Trauerfeier deutlich sicht- und hörbar am Rande eines Nervenzusammenbruchs.
Sie schluchzte während aller Reden, von denen zwei von mir unbekannten älteren Männern gehalten wurden, eine von Simmons und eine von einem Politiker, den ich irgendwann mal auf einem Wahlplakat gesehen hatte.
Sie schluchzte, als der Sarg zum Grab geführt wurde, als man ihn hinab ließ und noch viel lauter, als sie drei Hände voll Erde drauf warf. Mir war sofort klar, womit die Titelseiten am nächsten Tag gefüllt sein würden. Es bildete sich eine lange Schlange von Erdwerfaspiranten, wobei denjenigen, die gleich gezwungen sein würden, der jungen Frau zwecks Beileidsbekundung gegenüberzutreten, deutliche Panik ins Gesicht geschrieben war.
Evelyn Koss warf sich mit Inbrunst um jeden Hals, der ihr entgegen gestreckt wurde, und krallte sich fest, als hätte sie Angst, in ihren eigenen Tränen zu ertrinken. Es bedurfte einer Menge Worte und Rückenklopfer, um wieder loszukommen.
Ich erkannte Stanislaus Kolobcek, Björn Kliesen und Hugh Simmons in der Schlange. Sie wirkten alles andere als gelassen.
Die, die nicht in Evelyn Koss' Würgegriff steckten, schauten pietätvoll woanders hin. Nur Reemund und ich sahen — er mehr, ich weniger — ungeniert zu. Und so bemerkten wir beide etwas, das allen anderen verborgen blieb. Nun, vielleicht bemerkten es die Presseleute auch, aber sie waren auf Abstand gehalten worden, und ich bin sicher, sie maßen der Sache keine Bedeutung bei.
Hugh Simmons hatte seinen Teil Erde ins Grab geworfen und ging nun mit ausgebreiteten Armen auf Evelyn Koss zu. Doch in ihr war eine Veränderung vorgegangen. Kaum hatte sie Simmons gesehen, hörte sie auf zu schluchzen. Und für einen Moment schien es mir, als wollte sie ihm die Umarmung verweigern. Zu guter Letzt ließ sie es doch zu, schob den Mann aber schnell von sich.
Reemund grunzte in einer Art, die wohl Überraschung ausdrücken sollte. Wedelbeck reichte ihm ein Taschentuch.
»Schnauze, Wedelbeck!«
Kaum war den unvermeidlichen Ritualen am Grab Genüge getan, offenbarte Reemund seinem Stellvertreter, dass er mal kurz mit der Frau reden wolle. Der versuchte, ihn zurückhalten, doch es gelang ihm nicht.
»Guten Tag Frau Koss! Ich heiße Reemund und bin der leitende Beamte im Mordfall ihres Vaters. Ich hätte eine Frage an Sie.«
Evelyn Koss sah den Hauptkommissar an, als wäre er hier der Geist. Wedelbeck fuhr dazwischen, bevor Reemund weiter reden konnte. »Was mein Kollege sagen wollte, ist, dass wir Ihnen noch einmal unser herzliches Beileid zu Ihrem schweren Verlust aussprechen wollen.«
»Genau«, brummte Reemund. »Herzliches Beileid.«
Die junge Frau nickte knapp, ihre Unterlippe fing an zu zittern, und sie heulte erneut los. Wedelbeck reichte ihr galant sein Taschentuch, und sie tupfte sich die Augen, was ihrem Aussehen nicht zum Vorteil gereichte. War die dunkle Schminke durch Weinen und Reiben bisher erstaunlich gleichmäßig über ihre Wangen verteilt gewesen, wies die Fläche nun einige weiße Flecken auf.
»Ich hab nur die eine Frage«, sagte Reemund. »Was haben Sie gegen Hugh Simmons?«
»Was?« Die junge Frau hörte sofort auf zu schluchzen.
»Garnichts.«
»Das glaube ich Ihnen nicht.«
»Reemund!« Wedelbeck war empört.
Evelyn Koss schniefte. »Wirklich! Überhaupt nichts.«
»Blödsinn.« Der Hauptkommissar hielt dem wütenden Blick der jungen Frau mühelos stand.
»Kommen Sie, Chef. Wir müssen gehen«, sagte Wedelbeck.
»Nein, müssen wir nicht.«
Evelyn Koss senkte den Blick als Erste.
»Können Sie mich nicht einfach in Ruhe lassen? Ausgerechnet heute?«
»Es tut mir sehr leid, wenn ich Sie damit belästige«, sagte Reemund, so wie man vielleicht sagen würde: Egal ob du Geburtstag hast, du bist dran mit Abwaschen!
»Wir haben mittlerweile zwei Morde aufzuklären.«
»Halten Sie mich für herzlos? Ist es das?« Die junge Frau sah Reemund an, als wollte sie ihm eine runter hauen, und Wedelbeck schaute genauso. »Sie denken, es geilt mich auf, mein verflenntes Gesicht morgen in allen Zeitungen sehen zu können, ja? Sie wollen wissen, warum ich Simmons nicht leiden kann? Weil ich Fernsehmacher zum Kotzen finde! Deshalb!«
Sie schien zu denken, dass damit alles Wissenswerte gesagt war, doch Reemund sah sie erwartungsvoll an.
»Ja, und weiter?«
»Verstehen
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