Der Weg zur Hölle
bin ich hier. Vorausgesetzt, ich bin in der Stadt.«
Er nahm ein Fleischbällchen in den Mund und kaute genüsslich darauf herum.
»Übrigens«, sagte er und schluckte den Bissen herunter. »Ich hab mich mal umgehört. Wegen der Geschichte, die der Herr erzählt hat, bei dem der Kopf auf dem Balkon lag, dieser Meyer. Also keiner kennt einen Penner mit Flüsterstimme und dickem Vollbart. Schon gar keinen mit einer Liebe zu Pfefferminzlikör. Aber den Meyer kennen sie alle. Der hat zwar eine Familie und eine Wohnung, aber der ist oft mit den anderen auf Tour. Hat sich immer gerühmt, dass seine Familie vor ihm kuscht und immer macht, was er will. Die meisten finden ihn widerlich, aber er lädt gern ein. Wahrscheinlich um zu zeigen, dass es ihm nicht ganz so dreckig geht, wie den anderen.«
»Tja«, sagte Reemund. »Danke dafür.«
»Was meinen Sie? Kann er den Typen erfunden haben?«
»Ich glaube nicht, dass Meyer der Mörder ist. Und dann macht es keinen Sinn, dass er lügt. Ich denke, den ominösen Penner gibt es wirklich. Vielleicht hören Sie sich noch weiter um?«
»Klar. Mach ich.«
Zwei Männer in Wachschutzuniformen traten zu uns. Der eine zeigte auf Wassermanns Pappteller.
»Darf ich fragen, wo Sie das Essen her haben? Das Buffet ist noch nicht eröffnet, und ich kann mir nicht vorstellen, dass Sie auf der Gästeliste stehen.«
Reemund zückte seinen Dienstausweis und hielt ihn den Wachschutzleuten unter die Nase.
»Dieser Mann steht im Dienst der Polizei, und Sie behindern unsere Arbeit. Wenn er sich etwas zu Essen geholt hat, tat er das aus Gründen, die Sie nichts angehen. Verstanden?«
Augenblicklich nahmen die beiden Männer Haltung an; der eine salutierte sogar.
»Tun Sie sowas in meinem Beisein nie wieder«, knurrte Reemund. »Und jetzt machen Sie, dass Sie Land gewinnen!«
Die beiden verschwanden.
»Vielleicht sollten Sie sich auch was zu Essen holen«, sagte Wassermann. »Sie sehen hungrig aus.«
»Ich will was Richtiges.«
»Dann sollten wir handeln«, warf Wedelbeck hastig ein. »Sonst bekommt hier womöglich noch jemand eine kaputte Nase!«
»Schnauze, Wedelbeck!«
* * *
KAPITEL 13 - ABEND
ABEND: Himmelsgegend, in der die Sonne untergeht (daher A.land auch Okzident gen.); auch die Zeit des Sonnenuntergangs.
(Meyers Neues Lexikon, VEB Bibliographisches Institut Leipzig, 1971)
Am Abend war Hans-Jochen Meyer tot.
Die Nachricht traf die Mordkommission mitten in einem Streit um die nicht ganz unberechtigte Frage, wieviel die Annahme, sich einer Art Rächer mit kruder Moral gegenüberzusehen, noch mit Polizeiarbeit zu tun habe. Wedelbeck verteidigte weiter seine Meinung, dass es hier auf noch unklare Weise um Drogen ging, und die meisten der anderen Mitarbeiter pflichteten ihm ohne Weiteres bei. Reemunds Einwand, sie würden die These seines Stellvertreters nur deshalb unterstützen, weil ihnen für seine Theorie die Fantasie fehle, konnte nicht überzeugen. Der Anruf, der sie über den Tod ihres kurzzeitig Tatverdächtigen informierte, hatte etwas mehr Wirkung.
Kaum war das Gespräch beendet, schaute Reemund mit einer Art Ganzkörpergrinsen in die Runde seiner Mitarbeiter.
»Glauben Sie immernoch, es gehe hier um Drogen beim Privatfernsehen?«
»Wenn Ihre Theorie wirklich stimmt …«, sagte Wedelbeck, »… dann wäre etwas weniger Selbstgefälligkeit angebracht. Schließlich hätten wir von der Möglichkeit ausgehen sollen, dass Meyer etwas zustoßen könnte, nachdem wir ihn nicht ins Gefängnis gesteckt haben.«
»Schnauze, Wedelbeck.«
*
In Marzahn, wo Meyers Leiche gefunden worden war, machte ich einen Abstecher zu meinem Basislager, um nach meinen Schützlingen zu sehen.
Eduard Koss stand oben auf dem Haus an der Dachkante und starrte in die untergehende Sonne. War er inzwischen soweit, seinen neuen Bewegungsradius richtig einzuschätzen? Ich gab mir große Mühe, mich ihm so vorsichtig wie möglich zu nähern. Ein Schreck hätte ihn über die Dachkante hinaus tragen können, und ich wusste weder, wieviel Restselbstbild noch in ihm steckte, noch, was es mit ihm anzustellen vermochte.
Daher flog ich einen kleinen Bogen, sodass er mich kommen sah.
Er lächelte mich an und sagte höflich: »Guten Tag.« Genau so, wie es ein entwickelter, artiger Geist eben tun sollte.
»Ich habe mich schon gefragt, wann Sie zurückkommen.«
»Sie kennen mich?«
»Ich weiß nicht, wer Sie sind, aber ich weiß, dass Sie sich die letzten Tage um mich gekümmert haben.«
Das war
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