Der Weg zurück
wiederfinde.«
Ludwig steht auf. Seine Stirn ist rot. Seine Augen brennen. Er sieht Rahe dicht ins Gesicht. »Und warum, Georg, warum? Weil wir betrogen worden sind, betrogen, wie wir es kaum erst ahnen! Weil man uns furchtbar missbraucht hat! Man sagte uns Vaterland und meinte die Okkupationspläne einer habgierigen Industrie – man sagte uns Ehre und meinte das Gezänk und die Machtwünsche einer Handvoll ehrgeiziger Diplomaten und Fürsten – man sagte uns Nation und meinte den Tätigkeitsdrang beschäftigungsloser Generale!« Er rüttelt Rahe an den Schultern. »Verstehst du denn das nicht? In das Wort Patriotismus haben sie ihr Phrasengewäsch, ihre Ruhmsucht, ihren Machtwillen, ihre verlogene Romantik, ihre Dummheit, ihre Geschäftsgier hineingestopft und es uns dann als strahlendes Ideal vorgetragen! Und wir haben geglaubt, es sei eine Fanfare zu einem neuen, starken, gewaltigen Dasein! Begreifst du denn nicht? Wir haben gegen uns selbst Krieg geführt, ohne es zu wissen! Und jeder Schuss, der traf, traf einen von uns! Hör doch, ich schreie es dir in die Ohren: Die Jugend der Welt ist aufgebrochen, und in jedem Lande ist sie belogen und missbraucht worden, in jedem Lande hat sie für Interessen gefochten statt für Ideale, in jedem Lande ist sie zusammengeschossen worden und hat sich gegenseitig ausgerottet! Begreifst du denn nicht? Es gibt nur einen einzigen Kampf: den gegen die Lüge, die Halbheit, den Kompromiss, das Alter! Wir aber haben uns einfangen lassen von ihren Phrasen und anstatt gegen sie für sie gekämpft. Wir glaubten, es ginge um die Zukunft! Aber es ging gegen die Zukunft. Unsere Zukunft ist tot, denn die Jugend ist tot, die sie trug. Wir sind nur noch übriggebliebene, Reste! Aber das andere lebt, das Satte, Zufriedene, es lebt satter, zufriedener als je! Denn die Unzufriedenen, Drängenden, Stürmenden sind dafür gestorben! Bedenk das doch! Eine Generation ist vernichtet worden! Eine Generation Hoffnung, Glauben, Willen, Kraft, Können ist hypnotisiert worden, sodass sie sich selbst zusammenschoss, obschon sie in der ganzen Welt die gleichen Ziele hatte!«
Seine Stimme bricht. Seine Augen sind voll Schluchzen und Wildheit. Wir sind alle aufgesprungen. »Ludwig«, sage ich und lege den Arm um seinen Nacken.
Rahe nimmt seine Mütze und wirft den Stein in den Kasten zurück. »Auf Wiedersehen, Ludwig, alter Kamerad!«
Ludwig steht ihm gegenüber. Sein Mund ist zusammengepresst. Die Backenknochen springen hervor. »Du gehst, Georg«, stößt er hervor, »aber ich bleibe! Ich gebe es noch nicht auf!«
Rahe sieht ihn lange an. Dann sagt er ruhig: »Es ist aussichtslos«, und rückt sein Koppel zurecht.
Ich begleite Georg die Treppen hinunter. Unten kommt der Morgen schon bleiern durch die Tür. Die steinernen Stufen hallen. Wie aus einem Unterstand treten wir nach draußen. Die Straße ist ganz leer und grau. Sie zieht sich lang hin. Rahe zeigt hinüber. »Alles Schützengräben, Ernst –«, er deutet auf die Häuser –, »lauter Unterstände – der Krieg geht weiter – aber ein gemeiner Krieg – einer gegen den andern. –«
Wir geben uns die Hände. Ich kann nicht sprechen. Rahe lächelt. »Was hast du denn, Ernst? Da ist doch gar keine richtige Front mehr, da oben im Osten! Kopf hoch, wir sind doch Soldaten. Ist ja nicht das erste Mal, dass wir Abschied nehmen. –«
»Doch, Georg«, sage ich hastig, »ich glaube, es ist jetzt das erste Mal, dass wir wirklich Abschied nehmen. –«
Er steht noch einen Augenblick vor mir. Dann nickt er langsam und geht die Straße hinunter, ohne sich umzusehen, schlank, ruhig, und eine Weile noch höre ich das Klappern seiner Schritte, als er schon verschwunden ist.
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Fünfter Teil
I
Zum Examen ist eine Verfügung eingetroffen, die Kriegsteilnehmer mit großer Nachsicht zu prüfen. Das geschieht auch. Wir bestehen infolgedessen sämtlich. Der nächste Kursus, in dem Ludwig und Albert sind, soll in drei Monaten geprüft werden. Beide müssen bis dahin warten, obschon sie für vier Mann von uns alle Arbeiten geschrieben haben.
Wenige Tage nach dem Examen erhalten wir vertretungsweise Lehrstellen auf den umliegenden Dörfern zugewiesen. Ich bin froh darüber; denn ich habe das ziellose Herumleben satt. Es hat nur zu Grübeleien, Trauer und sinnloser, lärmender Ausgelassenheit geführt. Jetzt will ich arbeiten.
Ich packe meine Koffer und reise mit Willy zusammen ab. Wir haben Glück gehabt, Nachbarn zu werden. Unsere Dörfer liegen kaum
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