Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Weg zurück

Der Weg zurück

Titel: Der Weg zurück Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: E.M. Remarque
Vom Netzwerk:
alles dasselbe.«
    »Natürlich«, sage ich und setze einen schweinischen Witz darauf, damit er mir ja nicht anmerkt, was los ist. »Also bis eins, Anton!«
    »Pupille«, antwortet er würdig, »oder Bonßoahr, wie der Franzose sagt.«
    Ich gehe weiter, die Hände tief in den Taschen. Der Schnee quatscht unter meinen Schuhen. Unwillig stoße ich ihn weg. Was könnte ich denn schon machen, wenn ich wirklich mit einer solchen Frau am Tisch säße? Ich könnte sie nur anstarren, weiter nichts. Noch nicht einmal essen könnte ich, ohne in Verlegenheit zu kommen. Wie schwierig muss das sein, denke ich, mit einem solchen Wesen den ganzen Tag zusammen zu sein. Immer aufpassen, immer aufpassen. Und erst des Nachts – da wüsste ich überhaupt nichts. Ich habe wohl schon was mit Frauen gehabt, aber das habe ich von Jupp und Valentin gelernt, und bei solchen Damen ist das sicher nicht richtig. –
    Im Juni 1917 bin ich zum ersten Male bei einer Frau gewesen. Unsere Kompanie lag damals in Barackenquartieren, es war Mittag, und wir balgten uns auf der Wiese mit zwei jungen Hunden herum, die uns zugelaufen waren. Mit fliegenden Ohren und glänzendem Fell tobten die Tiere durch das hohe, sommerliche Gras, der Himmel war blau und der Krieg weit fort.
    Da kam Jupp von der Schreibstube hergelaufen. Die Hunde rannten ihm entgegen und sprangen an ihm hoch. Er schüttelte sie ab und rief: »Befehl gekommen, heute Abend müssen wir los!« Wir wussten, was das bedeutete. Seit Tagen grollte das Trommelfeuer der großen Offensive am westlichen Horizont, seit Tagen sahen wir abgekämpfte Regimenter zurückkehren, und wenn wir jemand davon fragten, antwortete er nur mit einer Handbewegung und blickte weiter starr geradeaus, seit Tagen rollten Wagen mit Verwundeten vorüber, seit Tagen schanzten wir Morgen für Morgen lange Reihengräber –
    Wir standen auf. Bethke und Weßling gingen zu ihren Tornistern, um Briefpapier herauszusuchen, Willy und Tjaden wanderten zur Gulaschkanone, und Franz Wagner und Jupp redeten mir zu, mit ihnen zum Puff zu gehen.
    »Mensch, Ernst«, sagte Wagner, »du musst doch auch mal eine Ahnung davon kriegen, was ein Weib ist! Wer weiß, ob wir nicht morgen alle schon hops sind, die sollen da ja einen Haufen neue Artillerie haben. Das wäre doch zu blödsinnig, wenn du als keusche Jungfrau in die Binsen hautest.«
    Das Feldbordell lag in einer kleinen Stadt, ungefähr eine Stunde weit weg. Wir bekamen einen Ausweis und mussten ziemlich lange warten; denn es gingen noch andere Regimenter nach vorn, und da wollten viele noch schnell vom Leben mitnehmen, was sie konnten. In einer kleinen Stube mussten wir unsern Ausweis abgeben. Ein Sanitätsgefreiter untersuchte uns, ob wir gesund wären, dann bekamen wir einige Tropfen Protargol eingespritzt, und ein Feldweibel erklärte uns, es koste drei Mark und dürfe wegen des Andranges nicht länger als zehn Minuten dauern. Darauf stellten wir uns auf der Treppe an.
    Die Reihe rückte langsam vorwärts. Oben klappten die Türen. Jedes Mal kam einer heraus, und dann hieß es: der Nächste.
    »Wieviel Kühe sind da?«, fragte Franz Wagner einen Pionier.
    »Drei«, erwiderte der, »aber aussuchen darfst du nicht. Es ist eine Lotterie – wenn du Schwein hast, schnappst du ’ne Großmutter.«
    Mir wurde fast schlecht in dem muffigen Treppenaufgang, in dem die Hitze und der Dunst der ausgehungerten Soldaten brodelte. Ich hätte mich gerne gedrückt, denn mir war alle Neugier vergangen. Aber ich fürchtete mich davor, dass die anderen mich auslachen würden, deshalb wartete ich weiter.
    Schließlich kam ich an die Reihe. Mein Vorgänger stolperte an mir vorbei, und ich trat in das Zimmer. Es war niedrig und dunkel und roch so sehr nach Karbol und Schweiß, dass es mir sonderbar erschien, vor dem Fenster die Äste einer Linde zu sehen, in deren frischem Laub Wind und Sonne wirbelten: so verbraucht war alles in dem Raum. Eine Schüssel mit rosa Wasser stand auf einem Stuhl, und in der Ecke war eine Art Feldbett, auf dem eine zerschlissene Decke lag. Die Frau war dick und trug ein durchsichtiges, kurzes Hemd. Sie sah mich gar nicht an, sondern legte sich gleich hin. Erst als ich nicht kam, blickte sie ungeduldig auf; dann erschien ein Zug des Verstehens auf ihrem schwammigen Gesicht. Sie sah, dass ich noch ganz jung war. Ich konnte einfach nicht, ein Schauder ergriff mich und ein würgender Ekel. Die Frau machte ein paar Gesten, um mich aufzurütteln, plumpe, widerliche Gesten, sie

Weitere Kostenlose Bücher