Der Weg zurück
Schüsse peitschen, Menschen schreien, wir sind überschwemmt, mitgerissen, verwüstet, rasend vor Hass, Blut spritzt auf das Pflaster, wir sind wieder Soldaten, es hat uns wieder, krachend und tobend rauscht der Krieg über uns, zwischen uns, in uns – aus ist alles, die Kameradschaft durchlöchert mit Maschinengewehren, Soldaten schießen auf Soldaten, Kameraden auf Kameraden, zu Ende, zu Ende! –
III
Adolf Bethke hat sein Haus verkauft und ist in die Stadt gezogen.
Als er die Frau wieder bei sich aufgenommen hatte, ging alles eine Weile gut. Er tat seine Arbeit, sie tat die ihre, und es schien, als ob die Dinge in die Reihe kommen würden.
Doch das Dorf begann zu zischeln. Wenn die Frau abends über die Straße ging, wurde hinter ihr hergerufen; Burschen, die ihr begegneten, lachten ihr frech ins Gesicht; Weiber hielten sich mit deutlicher Geste die Röcke weg. Die Frau sagte nie etwas davon zu Adolf. Aber sie schwand dahin und wurde täglich blasser.
Adolf ging es ähnlich. Trat er in eine Kneipe, so verstummte das Gespräch – besuchte er jemanden, so empfing ihn verlegenes Schweigen – versteckte Fragen wagten sich allmählich hervor – im Suff kamen tölpische Anspielungen, und ein höhnisches Gelächter kollerte manchmal hinter ihm her. Er wusste nichts Rechtes dagegen zu tun; denn wozu sollte er dem ganzen Dorf Rede stehen über etwas, das allein seine Sache war und das nicht einmal der Pastor begriff, der ihn missmutig hinter seinen goldenen Brillengläsern hervor musterte, wenn er an ihm vorüberging. Es quälte ihn; aber auch Adolf sprach nie mit seiner Frau darüber. So lebten sie eine Zeit lang nebeneinanderher, bis die Meute sich an einem Sonntagabend weiter hervorwagte und der Frau in Gegenwart Adolfs etwas zugerufen wurde. Adolf fuhr hoch. Doch sie legte ihm die Hand auf den Arm. »Lass doch, das tun sie so oft, dass ich es schon gar nicht mehr höre.«
»Oft?« – Mit einem Male begriff er, weshalb sie so still geworden war. Wütend sprang er auf, um sich einen der Schreier zu greifen. Aber sie verschwanden hinter den zusammengeschobenen Rücken ihrer Genossen.
Sie gingen nach Hause und legten sich schweigend zu Bett. Adolf starrte vor sich hin. Da hörte er einen leisen, unterdrückten Laut. Die Frau weinte unter ihrer Bettdecke. Vielleicht hatte sie schon oft so gelegen, während er schlief. »Sei ruhig, Marie«, sagte er leise, »wenn sie auch alle reden.« Aber sie weinte weiter. Er fühlte sich hilflos und allein. Das Dunkel stand feindlich hinter den Fenstern, und die Bäume rauschten wie alte Klatschweiber. Vorsichtig legte er die Hand auf die Schulter der Frau. Sie sah ihn mit tränenvollem Gesicht an. »Adolf, lass mich weggehen, dann hören sie auf damit. –«
Sie stand auf, die Kerze brannte noch, ihr Schatten schwankte groß durch den Raum, er glitt über die Wände, und sie war klein und schwach dagegen in dem geringen Licht. So saß sie auf dem Bettrand und griff nach ihren Strümpfen und ihrer Bluse. Sonderbar und riesig griff der Schatten mit, wie ein lautloses Schicksal, das aus dem schwarzen Lauern draußen durch die Fenster hereingeschlichen war und nun grotesk, verzerrt und höhnisch kichernd alle Bewegungen mitmachte – gleich würde es seine Beute anfallen und sie hinausschleppen in das sausende Dunkel. Adolf sprang auf und riss die weißen Mullvorhänge vor die Fenster, als könne er das niedrige Zimmer dadurch absperren gegen die Nacht, die durch die schwarzen viereckigen Löcher mit gierigen Eulenaugen starrten.
Die Frau hatte die Strümpfe schon übergestreift und griff nach ihrem Leibchen. Da stand Adolf neben ihr. »Aber Marie –« Sie blickte auf und ließ die Hände sinken. Das Leibchen fiel zu Boden. Adolf sah den Jammer in ihren Augen, den Jammer der Kreatur, den Jammer eines geschlagenen Tieres, den ganzen trostlosen Jammer derer, die sich nicht wehren können. Er nahm die Frau um die Schulter. Wie weich und warm sie war, wie konnte man nur mit Steinen nach ihr werfen, hatten sie nicht beide guten Willen? Warum hetzte und jagte man sie so erbarmungslos? Er zog sie an sich, und sie gab nach, sie legte die Arme um seinen Hals und legte den Kopf an seine Brust. So standen sie beide fröstelnd in ihren Nachthemden da und fühlten einander und wollten einer sich an der Wärme des anderen erlösen, sie hockten sich auf den Bettrand und sprachen wenig, und als der Schatten vor ihnen wieder über die Wand zitterte, weil der Kerzendocht sich schräg legte und
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