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Der Weg zurück

Der Weg zurück

Titel: Der Weg zurück Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: E.M. Remarque
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rennt neben uns. Seine Lippen sind zusammengepresst, die Kieferknochen stehen vor, die Augen sind kalt und gespannt – er hat das Gesicht des Schützengrabens wieder. Albert auch. Ich auch. Wir laufen hinter den Gewehrschüssen her wie hinter einem unheimlich zerrenden Signal.
    Schreiend weicht vor uns die Menge zurück. Wir wühlen uns hindurch. Frauen halten sich die Schürzen vor die Augen und stürzen fort. Ein Gebrüll der Wut steigt auf. Man schleppt einen Verwundeten weg.
    Wir kommen zum Marktplatz. Dort hat sich die Reichswehr am Rathaus festgesetzt. Fahl blinken die Stahlhelme. Vor der Freitreppe steht ein schussfertiges Maschinengewehr. Der Platz ist leer – nur in den Straßen, die darauf münden, stauen sich die Menschen. Es wäre Wahnsinn, weiter vorzugehen. Das MG beherrscht den Platz.
    Aber einer geht vor, ganz allein. Hinter ihm kocht die Masse aus den Straßenschläuchen hervor, brodelt um die Häuser herum und schiebt sich schwarz zusammen.
    Der Mann aber ist weit voraus. In der Mitte des Platzes tritt er aus dem Schatten, den die Kirche wirft, in den Mondschein hinaus. Eine klare, scharfe Stimme ruft: »Zurück!«
    Der Mann hebt die Hände. Der Mond ist so stark, dass man im dunklen Loch des Mundes weiß die Zähne blitzen sieht, als der Mann zu sprechen beginnt. »Kameraden! –« Es wird still.
    Seine Stimme ist allein zwischen der Kirche, dem Massiv des Rathauses und den Schatten, sie ist allein auf dem Platze, eine flatternde Taube. »Kameraden, legt die Waffen fort! Wollt ihr auf eure Brüder schießen? Legt die Waffen fort und kommt zu uns!« Nie war der Mond so hell. Wie Kreide sind die Uniformen an der Rathaustreppe. Die Fenster schimmern. Die bestrahlte Hälfte des Kirchturms ist ein Spiegel aus grüner Seide. Die steinernen Ritter am Tor springen mit Helmen und Visieren flimmernd aus der Schattenwand.
    »Zurück, oder es wird geschossen!«, kommt kalt der Befehl von vorhin. Ich blicke mich nach Ludwig und Albert um. Das war unser Kompanieführer! Das war die Stimme Heels! Eine würgende Spannung erfasst mich, als müsste ich einer Hinrichtung zusehen. Ich weiß: Heel wird schießen lassen.
    Die dunkle Menschenmasse bewegt sich im Schatten der Häuser, sie schwankt und murmelt. Eine Ewigkeit vergeht. Dann lösen sich zwei Soldaten mit Gewehren von der Treppe und gehen auf den Einzelnen in der Mitte los. Es scheint unendlich lange zu dauern, bis sie heran sind, sie scheinen in grauem Morast auf der Stelle zu treten, glitzernde Stoffpuppen mit schussfertig gesenkten Gewehren. Der Mann erwartet sie ruhig. Als sie heran sind, sagt er wieder: »Kameraden …«
    Sie greifen ihm unter die Arme und reißen ihn vorwärts. Der Mann wehrt sich nicht. Sie zerren ihn so schnell weiter, dass er stolpert. Da gellen Schreie von hinten, die Masse gerät in Bewegung, eine Straße geht langsam, unregelmäßig vor. Die helle Stimme kommandiert: »Schnell zurück mit ihm! Ich lasse feuern!« Eine Schrecksalve knattert in die Luft. Der Mann reißt sich plötzlich los, aber er rettet sich nicht, er rennt schräg auf das Maschinengewehr los. »Nicht schießen, Kameraden!«
    Noch ist nichts passiert, aber als die Menge den Mann ohne Waffen weiterlaufen sieht, rückt sie ebenfalls wieder vor. Sie wogt in einem schmalen Ausläufer an der Kirche entlang. Im nächsten Augenblick fliegt ein Kommando über den Platz, donnernd bricht sich das Tack-tack des Maschinengewehrs in vielfachem Echo von den Häusern, und pfeifend und splitternd schlagen die Kugeln auf das Pflaster.
    Wir haben uns blitzschnell hinter einen Häuservorsprung geworfen. Eine lähmende, hundsgemeine Angst hat mich im ersten Augenblick überfallen, ganz anders als je im Felde. Dann verwandelt sie sich in Wut. Ich habe den einzelnen Mann noch gesehen, wie er sich umdrehte und vornüber fiel. Vorsichtig luge ich um die Ecke. Jetzt versucht er gerade wieder, sich hochzurichten, aber es gelingt ihm nicht. Langsam knicken die Arme ein, der Kopf sinkt, und, als sei er unendlich müde, gleitet der Körper aufs Pflaster nieder – da löst sich der Knäuel in meiner Kehle: »Nein!«, schreie ich, »nein!« Grell steht der Ruf zwischen den Häuserwänden.
    Da fühle ich mich beiseitegeschoben. Ludwig Breyer steht auf und geht über den Platz auf den dunklen Klumpen Tod zu.
    »Ludwig!«, rufe ich.
    Aber er geht weiter – weiter. – Entsetzt starre ich ihm nach.
    »Zurück!«, kommt wieder das Kommando von der Rathaustreppe.
    Ludwig bleibt einen Moment

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