Der weibliche Weg Gottes
mit Schinken und Käse und Eiern und Tomaten. Für diese Bestellung hat mein Spanisch gereicht, aber die erstaunte Bedienung nimmt vermutlich an, ich hätte Sprachschwierigkeiten. So gibt es dann nur ein Boccadillo mit Schinken. Besser als nichts. Es ist noch hell, als ich ins Bett gehe: fertig, geschafft, erledigt, satt und glücklich. Nachts wache ich auf, weil ich in meinem dicken Daunenschlafsack friere, stopfe mir im Halbschlaf noch ein Sweatshirt unter die Hüften, rolle mich zu einer kleinen Kugel zusammen. Es ist eiskalt.
Walther und ich beschließen, auch den zweiten Tag miteinander zu starten. Es ist so stimmig, dass wir ihn auch gemeinsam beenden. Die nächsten Tage bleiben wir zusammen. Es ist schön, nicht allein zu sein, und es tut gut, einen fremden Menschen an der Seite zu haben, einen, der nichts von meiner Geschichte kennt, dem ich auch nur wenig darüber erzähle. So gelingt es mir besser, bei mir zu bleiben.
Über die Vergangenheit zu reden, ist eine große Verlockung, wenn sie noch nicht abgeschlossen ist. Bis zu einem gewissen Grad ist das Gespräch auch wichtig, um verarbeiten zu können. Irgendwann ist es dann aber nur noch ein Mehr desselben. Wie das immer noch tiefere Graben in einer finsteren Grube, in der man selbst steht, um noch tiefer zu kommen, während der Blick gleichzeitig sehnsuchtsvoll das Licht sucht. Das habe ich in den vergangen Monaten oft gemacht. Es ist Zeit, loszulassen, damit ich mich auf Neues einlassen kann. Also halte ich als Erstes mal den Mund, wenn es um Vergangenes geht. Somit ist dieser erste Tag schon ein Fortschritt, weil das, was mich belastet, schweigt. So will ich es auch in der Zukunft halten.
Auch am zweiten Tag bleibt das Gefühl, über die Pyrenäen zu schweben. Welche Superlative gibt es, um dieses Gefühl von Stärke in mir auszudrücken, dieses „ich schaffe es und es macht mir Spaß“, das ich schon so lange vermisst habe. Endlich wieder etwas Neues, frische Eindrücke im Innen und Außen. Ich fühle mich großartig, sauge die berauschenden Farben, den Geschmack der klaren Luft in mich ein. Von Stunde zu Stunde fühle ich meinen Körper mehr: die Muskeln, Beine, Lunge, das Herz, meinen Rücken — allerdings auch den Rucksack. Was habe ich mir da nur angetan? Niemals werde ich mit diesem schweren Rucksack Santiago erreichen! Zwar kommt die Kondition mit dem Laufen, habe ich mir sagen lassen. Aber wenn nicht, gibt es immer noch einen Bus, mit dem ich ein Stück fahren kann. Das gestehe ich mir einfach zu, so viel Luxus muss sein.
Maria ist immer noch in der Hosentasche, und so soll es auch bleiben. Schaden kann es ja nicht, sage ich mir und nehme sie beim Wandern immer mal wieder in die Hand. Sie soll mein Talisman sein, mir Glück bringen, ein Anker, der mich im Hier festhält.
Meine Achillessehne schmerzt, aber es ist auszuhalten, und allein war ich am ersten Tag auch nicht. Aber das hat sicher nichts mit meinem Gebet in Lourdes zu tun — oder?
Auf einsamen Wegen
Es gibt zwei Gruppen von Reisenden. Die einen haben ihren Reiseführer ständig griffbereit, vorher ausführlich studiert und alles Interessante angestrichen, wissen, was sie erwarten können. Ich gehöre der anderen Gruppe an. Ich lasse mich gerne überraschen.
Es ist Walthers Vorschlag, am (verflixten) dritten Tag eine landschaftlich schöne Nebenstrecke zu wählen. Warum nicht, abseits der Routen ist es oft besonders reizvoll. Touristen bewegen sich mehr auf ausgetretenen Pfaden. Ich bin immer schon gerne davon abgewichen. Nur habe ich einen entscheidenden Nebensatz glatt übersehen: Erfordert körperliche Fitness. Das ist ein relativer Begriff, im Vergleich zu anderen bin ich entweder extrem fit oder ziemlich schlaff. Für die ersten zwei Tage hat meine Kondition gereicht, also halte ich mich für ziemlich stark. Es ist auch nicht meine Art, Anstrengungen zu meiden. Dabei habe ich mir damit schon eine Menge Lebensärger eingehandelt. In Stresssituationen mache ich weiter, gönne mir keine Pause, trete nicht zurück, um einen klaren Kopf zu bekommen, lasse mich eher einfangen von der Situation. Für diese Unternehmung hatte ich mir vorgenommen, klüger zu sein, alles ruhig angehen zu lassen, auf mich und meine Bedürfnisse zu achten, mich nicht anzupassen um der Gemeinschaft willen, mein eigenes Ding zu machen.
Wir verlassen die Hauptroute und nehmen den Weg über San Juan de la Pena nach Santa Cilia de Jaca und beginnen unseren ersten Aufstieg. Vor uns die bewaldeten Berge
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