Der Weihnachtspullover
ich ihn bat, einen Dampfzug nachzuahmen und »tschutschu« von sich zu geben.
Ich war acht. Dad kaufte mir meinen ersten Nerf-Football. Wir spielten in unserem schneebedeckten Garten, bis er zu müde wurde, um zu laufen. Er wurde in der letzten Zeit häufig müde.
Ich war neun. Wir öffneten Geschenke in Dads Krankenzimmer in der Klinik. Mom sagte, die Chemo habe ihn zu sehr geschwächt, um ihn nach Hause zu holen. Er drückte meine Hand und versicherte mir, dass wir schon bald wieder Fangen spielen würden. Ich versteckte meine Tränen vor ihm.
Monate rasten von einem Augenblick zum anderen an mir vorbei, und ich war beim Begräbnis meines Vaters. Er sah so friedlich aus und gesünder als in seinem letzten Lebensjahr. Es kam mir so ungerecht vor. Der Chor sang sein Lieblingslied.
Gott mit euch, bis wir uns wiedersehn!
Mög sein Fittich euch bedecken!
Mögt sein Lebensbrot ihr schmecken!
Gott mit euch, bis wir uns wiedersehn!
»Eddie? Kommst du mit rein?«
Ich stand ganz allein auf dem Flur.
»Sie würden sich doch alle freuen, dich zu sehen.«
Die Stimmen der Sänger waren von drinnen immer noch zu hören.
Der Aufenthaltsraum sah genauso aus wie jedes Jahr, und er roch auch genauso. An den Wänden hingen aus Bastelpapier ausgeschnittene Schneeflocken, und in der hinteren linken Ecke stand ein übermäßig geschmückter und viel zu kleiner Christbaum. Auf einem zusammenklappbaren Kartentisch thronte eine große, bis zum Rand gefüllte Schüssel mit rotem Punsch, von dem offenbar noch niemand probiert hatte.
»Eddie!«
Ich hatte gerade mal einen Fuß in den Raum gesetzt. »Hallo, Mrs. Benson.«
Mrs. Benson stürmte auf mich zu. Die Räder ihrer Gehhilfe drehten sich schnell auf dem Linoleum. Mehrere andere vertraute Gesichter folgten ihr auf den Fersen. Ich wusste, dass weiteres Wangenkneifen unvermeidlich war, und fragte mich, ab welchem Alter ein Junge für eine solche Demütigung wohl zu groß war.
Ein paar Minuten später hatten die Umarmungen unddas Händeschütteln und die Sieh-nur-wie-groß-Eddiegeworden-ist-Bemerkungen endlich nachgelassen. Meine Wangen brannten, aber es war ein gutes Gefühl, bei diesen Menschen zu sein, die sich alle so sehr darüber freuten, dass ich gekommen war.
»Und was wünschst du dir dieses Jahr zu Weihnachten, Eddie?« Mrs. Benson schien sich jedes Jahr etwas darauf zugutezuhalten, die Erste zu sein, die mir diese Frage stellte. Für gewöhnlich erwiderte ich, dass ich mir nicht sicher sei, aber da meine Mutter nicht weit von mir entfernt saß, sah ich es als meine letzte Gelegenheit an, sicherzustellen, dass meine Botschaft Gehör fand.
»Ein rotes Huffy-Fahrrad mit einem schwarzen Bananensattel«, sagte ich ein wenig lauter und deutlicher als nötig.
»Was für eine hübsche Idee«, erwiderte Mrs. Benson, die ganz offensichtlich überrascht war, nach so vielen Jahren endlich einmal eine konkrete Antwort zu bekommen. »Es wird wirklich Zeit, dass du ein Fahrrad bekommst. Nach allem, was geschehen ist, hast du es verdient.«
Sie hat ja keine Ahnung, wie sehr ich es verdient habe! , dachte ich bei mir.
Nach zwei Stunden freundlichen Lächelns und falschen Singens fuhren wir vom Parkplatz des Pflegeheims und machten uns auf den Heimweg. Ich hätte lügen und behaupten können, dass es mir so vorgekommen sei, alswürde dieser Abend niemals enden, aber in Wahrheit war er sogar viel zu schnell vergangen. Ich hatte ganz vergessen, wie gern ich mit den Leuten dort zusammen war. Sie halfen mir dabei, in Weihnachtsstimmung zu kommen und zu vergessen, wie sehr ich meinen Vater vermisste, ganz zu schweigen von unseren Geldproblemen und meinen Brottüten-Stiefeln. Es ist schon seltsam, dass ich es immer am meisten genoss, ein Kind zu sein, wenn ich mit einer Gruppe von alten Menschen zusammen war.
Meine Mutter hatte einen sechsten Sinn für diese ganze Das-habe-ich-doch-gleich-gesagt-Chose, und sie verlor keine Zeit, um eine Bestätigung ihrer Vermutungen zu erhalten. »War doch gar nicht so schlimm, wie du befürchtet hattest, nicht wahr, mein Schatz?«
»Wenn du meinst.« So schnell war ich nicht bereit, klein beizugeben.
»Jeder ist seines Glückes Schmied. Spaß und Freude finden sich oft genau unter deiner Nase, du musst nur die Augen öffnen, um es zu erkennen.«
Wir sahen einander an. Dieses Mal fiel es mir schwer, ihren Blick zu deuten. Ich wusste nicht, ob sie lediglich versuchte, ihre Lebensweisheiten zu untermauern, oder ob sie mich ködern
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