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Der Weihnachtspullover

Der Weihnachtspullover

Titel: Der Weihnachtspullover Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Glenn Beck
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trägst. Dann bist du morgen krank.«
    Jemand sollte meiner Mutter mal eine Lehrstunde in Sachen Viren erteilen. Selbst ich wusste, dass man sich keine Erkältung durch die Kälte holte, begriff aber, dass eine Bemerkung über Gesundheitsbildung jetzt nicht gut ankommen würde. Also traf ich die richtige Entscheidung und hielt meinen Mund.
    »Also schön, dann ziehe ich sie eben über.«
    Ich suchte gerade unter der Küchenspüle nach den Tüten, als es an der Tür läutete. Unsere Haustür wurde geöffnet, und dann hallte dieses aufgeregte Geschnatter durch das ganze Haus, das kein Mensch richtig verstehen kann, das aber immer dann ertönt, wenn zwei erwachsene Frauen zusammentreffen.
    Ich war neun, als ich begriff, dass »Tante« Cathryn gar nicht wirklich meine Tante war, sondern eigentlich bloß unsere unmittelbare Nachbarin. Ihre Kinder waren schon erwachsen und aus dem Haus, und daher hatte sie uns adoptiert. Aber ob sie nun wirklich zu unserer Familie gehörte oder nicht, sie war zweifellos der netteste Mensch, den ich kannte, und meine Mutter kam mir immer fröhlicher vor, wenn sie mit ihr zusammen war.
    Ich trug widerwillig die Wonder-Bread-Tüten ins Wohnzimmer und setzte mich in Erwartung der unvermeidlichen Abfolge der Ereignisse auf das Sofa.
    »Eeeeeeddie, wie geht es dir?« Tante Cathryn kniff mir heftig in die Wange. Ich hasste das. »Frohe Weihnachten!« Man konnte ihr wirklich nicht nachsagen, dass sie schüchtern war.
    »Super, Tante Cathryn, und dir?«
    »Mir geht es immer gut, Eddie, aber danke der Nachfrage. Ich kann es einfach nicht fassen, dass es schon wieder Zeit für das Weihnachtssingen ist. Es kommt mir so vor, als hätte es erst gestern stattgefunden!«
    Das ist die Untertreibung des Jahrhunderts , dachte ich bei mir, hielt aber zum zweiten Mal an diesem Abend den Mund.
    »Oh und schau sich nur einer diesen wunderschönen Baum an!«
    Tante Cathryn besaß mehr Energie als jeder andere Mensch, dem ich jemals begegnet war. Wenn man die Wichtigkeit eines Satzes danach bemaß, mit welcher Begeisterung er gesprochen wurde, hätte Tante Cathryn gut und gern Präsidentin sein können. Doch mit einem Mal senkte sie ihre Stimme, was bei ihr selten vorkam, und sie sagte leise: »Ja, wo ist denn der Stern?«
    Während der Baum sonst überall geschmückt war, war die Spitze leer. Der Stern, der für gewöhnlich dort prangte, fehlte, weil niemand groß genug war, um ihn dort oben zu platzieren – eine stete Erinnerung daran, dass etwas anderes oder, besser gesagt, jemand anderes , ebenfalls fehlte.
    »Ich werde mich darum kümmern«, bot ich an, denn ich wollte nicht am Heiligabend in eine Unterhaltung über meinen Dad verstrickt werden. Ich nahm unsere Trittleiter aus dem Dielenschrank und klappte sie neben dem Baum auf. Dann kehrte ich zum Schrank zurück und holte unseren schlichten weißen Stern aus seiner Schachtel. Ich kletterte die Leiter bis zur obersten Stufe hinauf, stützte mich ab und klammerte den Stern an der Spitze fest. Tante Cathryn lächelte.
    »Also, das macht dich jetzt wohl offiziell zum Mann im Haus, Eddie«, sagte meine Mutter.
    Es war offensichtlich, dass sie ihre Worte bereits bereute, ehe sie ihr ganz über die Lippen gekommen waren. Tante Cathryn und ich starrten in betretenem Schweigen zu Boden, aber wir dachten beide das Gleiche, nämlich, dass es das Letzte war, was wir wollten.
     
     
    Nachdem ich mir die Wonder-Bread-Tüten über die Schuhe gezogen hatte (auch wenn ich mich damit zum Gespött der Leute machen würde), stieg ich mit meiner Mutter und Tante Cathryn in unseren Wagen, um zum Pflegeheim zu fahren. Wir hatten dort in den letzten fünf oder sechs Jahren regelmäßig zu Weihnachten gesungen.
    Das einzig Versöhnliche an der Sache war, dass wirdrinnen sangen, wo uns keiner sehen konnte. Es wäre schon schlimm genug gewesen, wenn meine Freunde mitbekommen hätten, dass ich Weihnachtslieder mit meiner Mutter sang, aber dazu noch die Wonder-Bread-Tüten und Tante Cathryn – also da wäre »Breaddie Eddie« noch harmlos gewesen im Vergleich zu der Hänselei, die mich dann erwartet hätte.
    Meine Mutter fuhr furchtbar langsam, während Tante Cathryn am Knopf des Autoradios herumspielte. Nach mindestens fünf Minuten Rauschen, unterbrochen von zehnsekündigen Liedschnipseln, hatte ich schließlich die Nase voll.
    »Könnten wir uns vielleicht für einen Sender entscheiden?«, fragte ich. Wenn es darum ging, den Mund zu halten, war bei mir spätestens beim dritten

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