Der Weihnachtspullover
vorgesungen, und alles war wieder gut.«
An diesem Punkt versagten all meine Versuche, meine Emotionen zu unterdrücken und mir nichts anmerken zu lassen. Eine Träne rann aus meinem linken Auge und kullerte über meine Wange. Ich hoffte, dass meine Mutter es nicht bemerken würde, aber das war äußerst unwahrscheinlich.
»Außerdem, wenn Gott nicht jetzt hier bei uns wäre, warum sollten wir dann diesen wunderschönen Nachthimmel haben? Schau dir nur einmal die Wolken an, Eddie. Sie sind voller Schnee. Und wenn Gott sie heute Nacht vom Himmel aus ein wenig drückt, dann werden wir eine weiße Weihnacht haben, wie sie deinem Vater immer so gut gefallen hat.« Sie lächelte mich besonders liebevoll mit ihren rehbraunen Augen an und fügte hinzu: »Also Gute Nacht. Versuch zu schlafen und steh erst auf, wenn es hell ist.« Sie zwinkerte mir zu. »Der Weihnachtsfeiertag beginnt offiziell erst bei Tagesanbruch.«
Sie schaltete beim Hinausgehen die Lampe aus und mein Nachtlicht strahlte hell und rief mir in Erinnerung, dass ich doch noch nicht ganz ein Mann war.
Ich starrte aus dem Fenster, war entschlossen, nicht eher einzuschlafen, bis ich die ersten Schneeflocken fallen sah. Die Textzeilen, die meine Mutter leise gesungen hatte, wollten mir nicht mehr aus dem Kopf gehen. Wenn sich Wetterwolken türmen, mög sein ew’ger Arm euch schirmen! Sie hatte wahrscheinlich recht, aber ich fühlte mich immer noch mit meiner Last allein. Ich war ein zwölfjähriger Junge ohne Vater und ohne Geld.
Während ich weiter aus dem Fenster starrte und darauf wartete, dass der Schneefall einsetzte, hatte ich keine Ahnung, dass ich Gottes Arme mehr brauchen würde, als ich es jemals für möglich gehalten hätte, denn der Sturm, der über mein Leben hereinbrechen sollte, zog gerade auf.
Kapitel 4
s duftete im ganzen Haus so herrlich nach Moms Pfannkuchen,dass ich tatsächlich davon wach wurde.
Ich sprang aus dem Bett und lief zum Fenster. Es hat etwas Magisches an sich, einzuschlafen, während der Boden draußen noch kahl und trocken ist, und beim Aufwachen festzustellen, dass sich eine flockige, weiße Schneedecke über alles gelegt hat.
Aber mit der Magie war es leider nicht so weit her, denn im Vorgarten lagen immer noch die grobkörnigen grauen Reste des Schnees, der schon vor ein paar Tagen gefallen war. Ich blickte zum Himmel hinauf. Die eigensinnigen Wolken sahen wohl noch so aus, als trügen sie Schnee mit sich herum, schienen aber immer noch nicht bereit, ihn herzugeben.
Am schlimmsten war, dass meine Mutter kein Verständnis für meine Enttäuschung haben würde. Sie gehörte zu den Menschen, die Schnee eher für eine nervige Angelegenheit hielten. Sie mochte wohl die Vorstellung von Schnee, hasste aber eigentlich beinahe alles andere, was damit zu tun hatte. Ihn wegzuschippen war ihr furchtbarlästig, sie beschwerte sich, dass die Windschutzscheibe eine halbe Ewigkeit benötigte, bis sie entfrostet war, und wenn es auch nur ein winziges bisschen geschneit hatte, vermied sie es wann immer möglich, mit dem Wagen zu fahren. In meinen Augen war sie ein Spielverderber, und deshalb nannte ich sie einen Schnee-Grinch, bis ich alt genug war, um selbst zu schippen, und endlich begriff, was sie meinte.
Aber wenn meine Mutter ein Grinch war, dann war mein Vater der Bürgermeister von Hu-Heim. Für ihn konnte es gar nicht genug Schnee geben. Wir beide blieben lange auf, um den Beginn eines vorhergesagten Schneesturms mitzuerleben, und tranken dabei Kakao und hörten Radio, um schon früh in Erfahrung zu bringen, ob es schulfrei geben würde.
An Tagen wie an einem Weihnachtsmorgen, wenn sich die Wetterfrösche offenbar wieder einmal geirrt hatten, war ich schrecklich enttäuscht und fragte meinen Dad, wie es kam, dass sie bei all der ihnen zur Verfügung stehenden Technik nicht einmal in der Lage waren herauszubekommen, ob es nun schneien würde oder nicht. Es war eine rhetorische Frage, aber einmal gab er mir eine Antwort, die ich niemals vergessen sollte. »Eddie«, sagte er, »wenn ich so mein Brot backen würde, wie diese Idioten das Wetter vorhersagen, wäre unsere Bäckerei schon längst bankrott, und wir hätten niemals Brot im Haus.«
Ich gab mir größte Mühe, nicht zu lachen. Es dauerte einen Moment, ehe Dad realisierte, was er da gerade gesagt hatte. Er hielt für eine Sekunde inne, sah das Lächeln auf meinem Gesicht und sagte:
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