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Der Weihnachtspullover

Der Weihnachtspullover

Titel: Der Weihnachtspullover Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Glenn Beck
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hielten mir wieder einmal eine Standpauke.
    Mein Großvater war ein großer Mann, dessen Haar die Farbe von Schnee hatte. Es war eher weiß als grau, aber nicht wie das eines alten Mannes. Ich hatte ihn jahrelang für den Weihnachtsmann gehalten. Er und Großmutter waren im selben Alter, aber sie hatte wunderschönes braunes Haar mit nur einer Spur von Grau darin. »Ein Wunder der modernen Wissenschaft«, pflegte Großvater zu sagen.
    Ich saß auf dem großen, alten, bequemen Sofa am Kamin, und Großvater saß mir gegenüber in seinem Sessel, während sich Mom und Grandma in der Küche zu schaffen machten. Großvater wusste es zwar nicht, aber Mom und ich nannten diesen Sessel seinen »Erzählsessel«, weil er scheinbar nicht darin sitzen konnte, ohne irgendeine unglaubliche Geschichte aus seiner Vergangenheit zu erzählen. Das Problem bestand darin, dass Großvater so gut darin war, Wirklichkeit und Fantasie zu vermischen,dass sich niemand mehr – und das schloss ihn selbst mit ein – ganz sicher sein konnte, was nun tatsächlich der Wahrheit entsprach und was nicht. Ihn zu bitten, eine Geschichte erneut zu erzählen, machte die ganze Angelegenheit nur noch schlimmer. »Grandpa«, fragte ich ihn einmal, in der Hoffnung, eine Geschichte bestätigt zu bekommen, an die ich mich noch aus der Vergangenheit erinnerte, »hast du wirklich dabei geholfen, das Mondauto zu bauen?«
    Er beantwortete Fragen gern mit Gegenfragen. »Habe ich dich jemals angelogen?«, erwiderte er, um sicherzustellen, dass er, falls er die Geschichte »aus Spaß« erzählt haben sollte, nun nicht Gefahr lief zu lügen, indem er sie bestätigte. Es war wirklich eine perfekte Methode. Nicht einmal Großmutter schien noch die Wahrheit zu kennen. Wenn ich sie bat, eine von Großvaters Geschichten zu bestätigen, sagte sie nur: »Könnte sein.« Dabei zierte sie sich nicht etwa oder machte seine Spielchen mit, sondern sie wusste es einfach wirklich nicht mehr. »Könnte sein ... « war die beste – nein, machen wir daraus besser die einzige – Antwort, die sie von Rechts wegen geben konnte.
    Zuweilen begann Großvater, sich eine Geschichte zusammenzuspinnen, und nach ein paar Sätzen bekundete Großmutter ihr Missfallen, indem sie laut »Edward!« rief, woraufhin Großvater seine Stimme senkte und michaufforderte, näher an seinen Sessel heranzurutschen. Die Prozedur wiederholte sich einige Male während des Erzählens, bis ich schließlich zu Füßen meines Großvaters saß und bewundernd zu ihm aufblickte, während er mir eine Lüge nach der anderen zuflüsterte.
    »Grandpa, hast du dieses Haus wirklich ganz allein gebaut?«
    »Oh ja, sogar ohne einen Hammer und nur mit zwei –«
    »EDWARRRRRRD!«, schrie Großmutter aus der Küche. Es war mir ein Rätsel, wie sie ihn von dort aus hören konnte. Mom hatte mir des Öfteren versichert, dass sie Augen im Hinterkopf habe, daher nahm ich an, dass Großmutter wohl auch Ohren in anderen Räumen hatte.
    Jetzt, wo mein Großvater mir in seinem Sessel gegenübersaß und sich an diesem verregneten Weihnachtsnachmittag über das Kinn strich, hegte ich die Hoffnung, dass er mit einer weiteren Geschichte beginnen würde. Es war mir völlig egal, ob er die ganze Sache erfand, ich wollte nur einfach nicht mehr über den Pullover und Fahrräder und meinen Dad nachdenken müssen.
    Aber leider hatte er einen anderen Einfall. »Na, Eddie, bist du bereit, mich beim Halma zu schlagen?«
    Halma? Was zum Teufel war denn hier los? Entweder hatte Großvater den Leuten, mit denen er Karten spielte, den letzten Cent aus der Tasche gezogen, oder aber er wollte sein System an einem anderen Spiel ausprobieren.
    Ich entschied mich, der Sache näher auf den Grund zu gehen. »Warum willst du denn nicht Karten spielen?«
    »Karten?« Großvater schaute rasch zur Seite, was ein Anzeichen dafür war, dass er sich etwas ausdachte. »Ich kann mein Kartenspiel im Augenblick nicht finden. Außerdem macht Halma doch viel mehr Spaß. Dabei muss man nicht rechnen.«
    Rechnen? Offenbar war Großvaters System sogar noch komplizierter, als ich gedacht hatte. Aber in Wahrheit hatte ich in diesem Moment auf überhaupt kein Spiel Lust. »Nein, danke, Grandpa.«
    »Stimmt was nicht, Eddie?«
    »Ach, es will mir einfach nicht wie Weihnachten vorkommen. Liegt vielleicht am Regen.«
    »Hmmm. Nicht wie Weihnachten? Dann sollte ich wohl zusehen, dass ich diesen Baum da loswerde«, erwiderte er mit einem Lächeln, das viel herzlicher war, als ich es

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