Der Weihnachtspullover
meinen Kopf wieder gegen das kalte Glas. Das Mädchen von gegenüber war verschwunden und mit ihr der Schneefall. Ein letzter kleiner Schauer tanzte langsam durch die Luft Richtung Boden. Er schien ebenso traurig und einsam zu sein wie ich.
Und dann begann es zu regnen.
Als Dad krank wurde, versuchte Mom anfangs, mit einigen Freunden unserer Familie die City Bakery in Schwung zu halten, aber es wurde rasch deutlich, was für ein guter Bäcker mein Vater gewesen war. Ein Rezept mochte lediglich eine schlichte Liste von Zutaten und Anleitungen sein, aber ganz offenbar steckte mehr in seinen Kreationen als das, was er auf einem Haufen alter, fettverschmierter Seiten niedergeschrieben hatte.
Als Dad starb, verkaufte Mom den Laden rasch. Wahrscheinlich war es ohnehin unvermeidlich. Unser Stadtzentrum war – ebenso wie mein Vater – in den letzten Jahren langsam vor sich hin gestorben. Ich weiß nicht, wie viel Geld sie bekommen hat, aber es kann nicht viel gewesen sein, denn selbst nachdem der Scheck eingetroffen war, durfte ich immer noch keine Milch bestellen, wenn wir ausnahmsweise einmal im Restaurant aßen. Ich glaube, sie hat einen Großteil des Geldes aufgebraucht, um Dads Arztrechnungen zu bezahlen.
Ich hätte nie gedacht, dass ich die Bäckerei vermissen würde, aber ich tat es. Sehr sogar. Natürlich nicht das Säubern der Schüsseln und Töpfe und auch nicht das Fegen des Bodens, aber das Beisammensein. Auch wenn wir alle mit unserer Arbeit beschäftigt gewesen waren, so hatten wir doch zusammen gearbeitet. Das war mir gar nicht aufgegangen, bis es dann plötzlich aus meinem Leben verschwunden war.
Mom vermied es lange Zeit, nach dem Verkauf der Bäckerei dort vorbeizufahren, aber irgendjemand erzählte mir, dass sie in einen Schuhladen umgebaut worden war. Ich verließ mich darauf; auch wenn ich mir nur schwer vorstellen konnte, dass jemand ein Paar Stöckelschuhe anprobierte, wo mein Vater früher die Eier aufgeschlagen oder den Teig geknetet hatte.
Zu der Zeit, als meine Mutter die Bäckerei aufgab, verkaufte sie auch unser Auto und unser Haus. Ich vermute, sie versuchte, einen Schlussstrich zu ziehen. Der Impala wurde für den Pinto in Zahlung gegeben, und unser neues Haus war weiß und so klein, dass die Garage, die lediglich für ein Auto vorgesehen war, im Grunde die Größe des gesamten Innenraumes verdoppelte.
Ich mochte dieses ganze neue Zeug nicht, aber zumindest roch der Stoff der Kopfstützen in dem Pinto nicht nach Dads Old-Spice-Rasierwasser, und das neue Haus duftete nicht noch nach seinem Schokoladenkuchen.
Das Nachdenken über all die Veränderungen, die so rasch in meinem Leben geschehen waren, führte nur dazu, dass ich mich noch elender fühlte. Wenn Dad noch am Leben gewesen wäre und immer noch die Bäckerei hätte, dann hätte er genug Geld gehabt, um mir mein Fahrrad zu kaufen. Das war einfach ungerecht. Warum wurde ich bestraft?
Nachdem ich ungefähr eine Stunde in den Regen hinausgestarrthatte, ging ich wieder nach unten. Mom war in der Küche. »Ist noch etwas vom Frühstück übrig?«, fragte ich in der Hoffnung, dass wir so tun könnten, als sei der Vorfall mit dem Pullover nie geschehen.
»Dazu haben wir jetzt keine Zeit mehr. Wir fahren etwas früher zu deinen Großeltern. Zieh den Pullover an – deine Großmutter hat mir dabei geholfen, die Wolle und das Muster auszusuchen, und sie kann es kaum erwarten, dich darin zu sehen.« Da war keine Freude in ihrer Stimme. Anscheinend hatte sie jedoch wenigstens wie ich beschlossen, so zu tun, als sei der Vorfall nie geschehen.
So, wie die Dinge standen, hatte ich keine Lust, zu meinen Großeltern zu fahren, und noch weniger Lust, diesen mit Sicherheit kratzigen, heißen, unbequemen Pullover zu tragen, den ich anstelle meines Fahrrades bekommen hatte.
Ich ging wieder nach oben und zog den Pullover an. Der große Spiegel auf der Rückseite meiner Tür fing mein Bild ein. Ich starrte mir in die Augen. Was tat ich hier nur? Ich betrachtete mich in dem Pullover, an dem meine Mutter so lange gestrickt hatte und auf den sie stolz war, und ich gab mir wirklich Mühe, ihn zu mögen, aber es wollte mir einfach nicht gelingen.
Ich verließ mein Zimmer, knallte die Tür hinter mir zu und stürmte nicht gerade leise durch das Haus. Ich hattedie Lektionen meines Großvaters nicht vergessen und bemühte mich, gerade so viel Krawall zu veranstalten, um meinen Standpunkt zu verdeutlichen, aber nicht so viel, dass ich mir damit
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