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Der Weihnachtspullover

Der Weihnachtspullover

Titel: Der Weihnachtspullover Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Glenn Beck
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Ärzte beantworteten meine Fragen lediglich mit einer Gegenfrage, genauso wie Großvater es immer tat, wenn er versuchte, der Wahrheit aus dem Weg zu gehen: »Wie können wir deinen Vater erreichen?«
    Ich weiß noch, wie ich flüsterte: »Mein Vater ist ... tot.« Dann hüllte mich die Dunkelheit wieder ein.

 
     
     
     
     

 

Kapitel 8
     
ls ich zehn war, nahmen mich meine Großeltern zum alljährlichen Rummel in Puyallup mit. Es war nicht gerade Disneyland, aber wenn sich der Nervenkitzel jahrelang auf das Rollschuhlaufen in einer ebenen Zufahrt beschränkt, ist es eine willkommene Abwechslung. Großmutter weigerte sich, irgendwelche Karussells zu besteigen – sie mochte nur die Darbietungen und die landwirtschaftlichen Ausstellungen –, und Großvater mied alles, was im Kreis ging, weil ihm davon übel wurde. Das schränkte die Möglichkeiten natürlich ein, und nach dem Streichelzoo, dem Versuch, mit auf dem Rücken verschränkten Händen in einem Wassertrog schwimmende Äpfel mit den Zähnen herauszufischen, und dazu noch einer gemächlichen Bahnfahrt (die Großmutter immer noch als zu schnell erachtete) war ich zu Größerem bereit. Bereit für die Achterbahn.
    »The Coaster Thrill Ride«, die »Achterbahnfahrt mit Nervenkitzel«, hatte diesen langweiligen, einfallslosen Namen nicht verdient, denn immerhin war sie das beste Fahrgeschäft auf dem ganzen Rummelplatz.
    Diese Achterbahn war ursprünglich im Jahre 1935 aus Douglasfichte gebaut worden und war weder die größte noch die schnellste ihrer Art im Land, aber für mich sah sie dennoch verdammt furchteinflößend aus. Sie war in den fünfziger Jahren durch ein Feuer zerstört, aber dann erneut aus Holz wiederaufgebaut worden, überragte alles auf dem Platz wie ein Leuchtturm und schien die Sensationslüsternen unter den Besuchern magisch anzuziehen.
    Während Großvater und ich anstanden, dachten wir laut darüber nach, welche Farbe unser Wagen wohl haben würde. Es gab orangefarbene, blaue und gelbe. Großvater klopfte die ganze Zeit, während wir warteten, große Sprüche. »Bist du dir auch ganz sicher, dass du mitfahren willst, Eddie?«, fragte er mich. »Da geht es fünfzehn Meter in die Tiefe, und das Ding ist über achtzig Stundenkilometer schnell. Ich werde damit fertig. Du auch?«
    »Klar«, erwiderte ich, obwohl ich mir da in Wahrheit ganz und gar nicht sicher war.
    Nachdem wir es endlich bis zur Kasse geschafft hatten, nahmen wir in unserem Wagen Platz und klappten den Sicherheitsbügel herunter. Ich schaute ein letztes Mal zu Großvater hinüber, und ich hätte schwören können, dass da für einen kurzen Moment Angst in seinen Augen aufblitzte.
    Das unüberhörbare Knacken der Zugkette der alten Achterbahn ertönte, und die Fahrt begann. Schon baldsteuerten wir auf die erste große Steigung zu. Weder Großvater noch ich sagten ein Wort.
    Von oben hatte man eine großartige Aussicht. Der Wagen verharrte für einen kurzen Moment, ganz so, als sei er im Netz der Schwerkraft gefangen, und ich hätte schwören können, dass ich Großmutters Kirche in der Ferne sah und sich die Sonne in der Turmuhr spiegelte. Ich hatte allerdings keine Chance, genauer hinzusehen, denn nachdem wir den Gipfel erreicht hatten, gewannen wir rasch an Fahrt und rasten Richtung Boden zurück, wobei das hölzerne Gleis unter uns heftig zitterte. Großvater drückte meine Hand und sagte mir, ich solle keine Angst haben.
    Erst Jahre später wurde mir bewusst, dass er meine Hand eigentlich fester gehalten hatte als ich die seine.
    Und jetzt, als Großvater und ich bei der Totenwache meiner Mutter zusammenstanden, da drückte er wieder fest meine Hand. Ich weiß nicht, wer wen tröstete, aber es war das Einzige, was mich davon abhielt, zur Tür hinauszurennen.
     
     
    Später fand ich heraus, dass Mom am Lenkrad eingeschlafen war. Wir waren von der Straße abgekommen, im Straßengraben gelandet und hatten uns dabei überschlagen.Ich hatte keinen Kratzer davongetragen, aber Mom hatte sich dabei das Genick gebrochen. Ärzte und Freunde versicherten mir immer wieder, dass sie augenblicklich tot gewesen sei und keinen Schmerz gespürt habe – als ob das alles wiedergutmachen würde. Ich wollte meine Mutter wiederhaben. Sie hätte nicht sterben dürfen. Weder zu diesem Zeitpunkt noch zu einem anderen und ganz bestimmt nicht »augenblicklich«. Ich hatte mich nicht von ihr verabschieden können und – was noch viel wichtiger war – ihr nicht mehr sagen können, dass es

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