Der Weihnachtspullover
zweifelnd an.
Meine Mutter rieb sich die Stirn. »Eddie, ich habe letzteNacht sehr schlecht geschlafen, und du weißt, dass ich Überstunden bei Sears gemacht habe. Ich bin wirklich müde und habe keine Lust mehr aufs Autofahren.« Sie legte ihren Kopf auf die Seite und zwinkerte mir zu. Ihr Blick sprach Bände. »Bitte. Für mich, ja?«
Ich schaltete auf stur. »Ich will aber nach Hause. Ein paar von meinen Freunden haben bestimmt Geschenke bekommen, mit denen ich gern spielen würde.« Der Ausdruck auf Moms Gesicht sagte mir, dass ich ins Schwarze getroffen hatte. Großvater kniff die Augen zusammen. Sein starrer Blick brannte sich in meine Wange.
»Tut mir leid, Eddie«, erwiderte Mom entschieden. »Wir werden bleiben. Ich bin heute einfach zu erschöpft für die Rückfahrt.«
»Es würde uns wirklich eine Menge bedeuten, wenn wir unsere beiden liebsten Menschen auf der Welt morgen zum Frühstück hier hätten«, warf Großmutter ein, die versuchte, den Frieden wiederherzustellen.
Dann ergriff Großvater das Wort, und sein Tonfall war viel ernster, als ich es von ihm gewöhnt war. »Ich glaube, Eddie hat recht. Vielleicht solltet ihr zwei nach Hause fahren. Schließlich fühlt er sich nicht wohl.«
Ich hätte wissen müssen, dass Großvater mitmachen würde. Er dachte mehr wie ein Zwölfjähriger als ich.
Ich versuchte mir einen Weg aus diesem ganzen Schlamassel heraus zu bahnen und ihm einen Schritt vorauszu sein. »Eigentlich hat Mom ja recht, Grandpa. Vielleicht wäre es besser, wenn wir hierblieben. Hast du nicht irgendwelche Besorgungen in der Stadt zu erledigen, bei denen ich dir morgen früh helfen könnte?« Ich sah Großvater mit einem gequälten Lächeln an und wartete darauf, dass er sich revanchierte. Aber das tat er nicht.
»Nein, nichts, das nicht bis nächste Woche warten könnte. Ich glaube wirklich, ihr zwei solltet nach Hause fahren. Ich bin mir sicher, dass du es kaum erwarten kannst, mit all den großartigen Geschenken deiner Freunde zu spielen.«
Schach und matt. Ich blickte beschämt und wütend zugleich zu Boden.
Meine Mutter seufzte. »Nun, damit ist die Entscheidung wohl gefallen.« Ihre Augen verrieten Erschöpfung und Resignation. »Geh nach oben und pack deine Sachen zusammen, Eddie. Ich muss mit Großmutter und Großvater sprechen. Ich rufe dich, wenn ich so weit bin.«
»In Ordnung«, sagte ich und tat so, als würde mich das Ganze nicht im Geringsten berühren.
»Und vergiss nicht, die Brottüten überzuziehen.«
Ich trottete die Treppe hinauf. Die Bestrafung meiner Mutter war in einer Weise ausgeufert, die ich nicht beabsichtigt hatte, und der Ausdruck in ihren Augen tat mir in der Seele weh. Ich überdeckte meine Schuldgefühle mit Wut. Wut auf Gott, das Leben und damit auch auf meineMutter. Ist nicht meine Schuld, versuchte ich mir einzureden.
Als ich im Zimmer angekommen war, nahm ich die Brottüten heraus, zog sie aber nicht über. Blöde Stiefel. Ich ließ die Tüten zu Boden fallen. Was für ein mieser, lausiger, beschissener Tag. Ich hasste Weihnachten. Ich wünschte, es wäre endlich vorbei. Aber das war es noch nicht – ich hatte immer noch eine lange und mit Sicherheit quälend schweigsame Rückfahrt vor mir.
Ich zog meinen Weihnachtspullover aus und drückte ihn ganz fest an mich, als ich mich auf das Bett legte. Was für ein Geschenk, dachte ich sarkastisch. Was für ein perfektes Geschenk. Meine Augen begannen unter der Last meiner Wut zu brennen. Ich vergrub meinen Kopf unter dem Kissen und hoffte, dass mich meine Mutter erst rufen würde, wenn meine Tränen getrocknet waren.
»Eddie«, erschallte die Stimme meiner Mutter die Treppe hinauf, »ich bin so weit, lass uns fahren.«
Ich stöhnte vor Erschöpfung, zog widerwillig meinen Pullover an, griff nach meiner Tasche und ging nach unten. Großmutter hatte einen Arm um die Taille meiner Mutter gelegt und drückte sie beruhigend. »Vergiss nicht, mich anzurufen, wenn ihr angekommen seid, Mary. Ichmöchte nicht die ganze Nacht wach liegen und mir Sorgen machen.«
So lange ich mich zurückerinnern kann, hat meine Mutter meine Großeltern immer angerufen, sobald wir von einem Besuch bei ihnen nach Hause zurückkehrten. Ferngespräche waren allerdings ein Luxus für uns, und daher hatten sie sich mit Großvaters Hilfe eine ganz besondere Methode ausgedacht, um Kosten zu vermeiden. Mom bat die Vermittlung um ein Gespräch mit Voranmeldung und verlangte dann, sich selbst unter der Nummer meiner
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