Der Weihnachtspullover
Großeltern zu sprechen. Wenn Großmutter an den Apparat kam, behauptete sie, ihre Tochter sei gerade nicht da, und hängte ein. Und so wusste sie, dass wir wohlbehalten zu Hause angekommen war. Es war eine narrensichere Methode – und, wie Großvater immer betonte: »Völlig umsonst und beinahe ehrlich.«
Mein Großeltern gingen in die Küche, um das Essen einzupacken, das wir zusammen zum Frühstück gegessen hätten. Ich konnte ihre gedämpfte Unterhaltung hören.
Der Einsatz war erhöht worden, und ich war entschlossen, dieses Psychospiel zu gewinnen. Egal, was es auch kosten mochte.
Kapitel 7
ir waren bereits zwanzig Minuten unterwegs, ehe einer von uns ein Wort sagte. »Dieses Mal hast du dich wirklich selbst übertroffen, Eddie.«
Ich sah zu, wie eine scheinbar endlose Zahl von Farmen im Rückspiegel verschwand. Die Wolken, die den Rand eines Wintersturms kennzeichneten, ließen die Sonne wie einen bemitleidenswerten, blassgelben Kreis mit einem grauen Hof erscheinen.
»Was soll ich deiner Meinung nach tun?«, fragte Mom und versuchte sich nicht anmerken zu lassen, wie nahe sie den Tränen war.
»Ich will ein richtiges Leben haben«, kam es wie aus der Pistole geschossen aus meinem Mund. »Wie meine Freunde.« Ich konnte einfach nicht anders. Ein ganzer Tag angestauter Frustration und Wut entlud sich in diesen Worten.
»Ein richtiges Leben? Eddie, das hier ist mein Leben. Ich habe vier verschiedene Jobs. Ich habe das Gefühl, als hätte ich zwei Jahre nicht mehr geschlafen. Ich tausche Schichten mit Kollegen, damit ich so oft wie möglichbei dir zu Hause bin. Mehr kann ich nicht tun, Eddie. Ich bin müde. Schrecklich müde. Und weißt du was? Vielleicht ist es an der Zeit, dass du anfängst, der Mann zu sein, zu dem du einmal werden wirst, anstatt dich wie der achtjährige kleine Junge zu benehmen, der du einmal warst.«
Meine Mutter hatte noch niemals so mit mir gesprochen. Als ich aufblickte, sah ich gerade noch, wie sie sich verstohlen eine Träne aus dem Auge wischte. Als sie erneut sprach, war ihre Stimme viel weicher.
»Ich weiß, dass es seit Dads Tod nicht leicht für dich gewesen ist. Aber mir geht es genauso. Irgendwann musst du begreifen, dass alles aus einem bestimmten Grund geschieht. Es liegt an dir, diesen Grund herauszufinden, daraus zu lernen und dich von ihm an den Ort führen zu lassen, an dem du sein solltest – und nicht bloß da zu bleiben, wohin es dich zufällig verschlagen hat.« Mom sprach langsam. »Entweder du beklagst dich darüber, wie schwer dein Leben ist, oder du begreifst, dass nur du selbst die Verantwortung dafür trägst. Du allein hast es in der Hand, ob du ein glückliches oder ein unglückliches Leben führen wirst. Und nichts wird das jemals ändern – kein Pullover und ganz bestimmt auch kein Fahrrad.«
Etwas tief in meinem Inneren wollte sich entschuldigen und meine Mutter um Verzeihung bitten. Stattdessen saß ich einfach nur so da.
Der Dauerregen hatte sich in Nieseln verwandelt, aber aufgrund des von den Reifen aufgewirbelten Sprühnebels konnte ich durch die Seitenfenster kaum etwas sehen. Und nach vorn zu schauen kam nicht in Frage, denn Moms Augen warteten möglicherweise im Spiegel mit einer weiteren Strafpredigt auf mich. Also kurbelte ich mein Fenster zur Hälfte herunter und hoffte, dass wir schnell zu Hause sein würden.
Nach ein paar Minuten kam Großmutters Kirche in Sicht. Ich nannte sie »Großmutters Kirche«, weil Großmutter mit Abstand die Religiöseste in der Familie war. Mom folgte an zweiter Stelle, und danach kam lange Zeit nichts. Großvater und ich lagen abgeschlagen auf dem letzten Platz.
Als ich noch klein war, musste ich mich jeden Sonntag feinmachen und mit Mom in die Kirche gehen. Ich habe es gehasst. Sie brachte mich dazu, geradezusitzen und eine Stunde lang »zuzuhören«. Dad begleitete uns nie. Er blieb für gewöhnlich zu Hause oder ging Golf spielen. Er pflegte immer zu sagen, dass er an alle zehn Gebote glaube, insbesondere an das eine, das verlangte, »am Sabbat zu ruhen«. Mom gemahnte ihn daran, dass der Herr dabei wahrscheinlich nicht das Golfspielen im Sinn gehabt habe, aber Dad lachte dann immer nur und erwiderte: »Ich glaube nicht, dass Gott unbedingt am Sonntag darauf achtet, wer ihn ehrt.« Ein Teil von mir dachte, dass er dasnur sagte, um kein schlechtes Gewissen zu haben, weil er uns nicht begleitete, aber wenn ich sah, wie Dad andere Menschen behandelte und denen half, die in
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