Der Weihnachtspullover
dass ich ihn nicht einmal in meiner Nähe haben wollte. Großvater hatte mich noch nie so erlebt. Offen gestanden, ich selbst auch nicht.
Er ließ mich sogleich in Ruhe, griff nach seinem Glas, nahm einen Schluck und beobachtete mich einige Minuten. Ich sagte kein Wort. Schaute ihn nicht einmal an. Ich wollte ihm begreiflich machen, dass ich zwar diese lästige Aufgabe erledigen, ihn aber spüren lassen würde, was ich davon hielt. Als er sich schließlich zum Gehen wandte, sagte er: »Lass es mich wissen, wenn du so weit bist.«
Alle zwei Stunden oder so schaute Großvater um die Ecke der Scheune, um zu sehen, wie ich vorankam, oder um mir frisches Zitronenwasser aus dem Haus zu bringen. Und jedes Mal stellte er mir die gleiche Frage: »Bist du so weit, Eddie?«
Die Tage vergingen, und Großvaters Besuche fanden unverdrossen mit der gleichen Häufigkeit statt. Er sah zu, wie ich mich abmühte, schwere Balken von einer Seite der Farm zur anderen zu schleppen oder zu schleifen. Er gab mir nicht einmal den naheliegenden Rat, zuerst die alten Nägel zu entfernen, bevor ich das Holz wegräumte.
Ein paarmal sah ich ihn lachend auf der hinteren Verandasitzen und unserem Nachbarn David ein paar seiner abenteuerlichen Geschichten erzählen. Ein weiteres Mal, als ich um die Ecke kam, um Wasser direkt aus dem Schlauch zu trinken, sah ich ihn in der Hängematte schlafen. Als ich den Hahn aufdrehte, weckte ihn das Geräusch, und unsere Blicke begegneten sich. »Bist du so weit?«, fragte er. Ich kochte vor Wut.
Wirklich lustig, dachte ich bei mir. Jetzt weiß ich, warum Grandpa so gut mit Moms Tod klarkommt. Er ist froh, dass ich jetzt auf der Farm lebe und er endlich jemanden hat, der all die schwere Arbeit für ihn umsonst erledigt.
Während mein Körper immer mehr schmerzte und meine Hände mit Schnitten und Splittern übersät waren, wuchs meine Wut mit jedem Mal, wenn Großvater fragte, ob ich so weit war. Wie konnte ein Mensch nur so kaltherzig sein und zusehen, wie sich sein eigener Enkelsohn abrackerte, ohne ihm ein einziges Mal seine Hilfe anzubieten?
Nachdem ich mich vier Tage mit meiner Aufgabe abgemüht hatte, kam Großvater wieder einmal mit Zitronenwasser aus dem Haus, blickte mir geradewegs in die Augen und betete die Frage herunter, die er mir schon unzählige Male zuvor gestellt hatte. »Bist du so weit?« Ich stand kurz davor auszurasten. »Willst du mich auf den Arm nehmen?«, schrie ich zurück. »Sieh dir doch diesen Haufen an. Das dauert noch Tage, bis ich das alles weggeräumthabe. Wenn du es so eilig hast, dann solltest du vielleicht aufhören, Gäste zu unterhalten, Nickerchen zu machen oder zu versuchen, dein Gewissen zu beruhigen, indem du mir dieses blöde Zitronenwasser bringst, und mir stattdessen lieber deine Hilfe anbieten.«
Großvater sah mich traurig an. »Eddie, ich habe dir meine Hilfe angeboten. Das habe ich am ersten Tag getan und seither alle paar Stunden immer wieder.«
»Ja, wann denn?«, schrie ich, bückte mich und fuhr mit der Arbeit fort. »Du hast mich immer nur gefragt, wann ich endlich fertig bin!«
»Nein, Eddie, das habe ich nicht«, erwiderte er mit fester, ruhiger Stimme. »Das magst du so interpretiert haben, aber ich wollte nur von dir wissen, wann du endlich bereit bist, dir helfen zu lassen, und deshalb habe ich dich gefragt, wann du so weit bist .«
»Oh, entschuldigen Sie bitte, Herr Oberlehrer«, entgegnete ich verächtlich. Ich hatte mich meinem Großvater gegenüber noch nie respektlos verhalten. Ich spürte, wie ich mich veränderte. Aber auch wenn mir das Angst machte, so war ich mir nicht sicher, wie ich es aufhalten sollte – und ein immer größer werdender Teil von mir wollte es auch gar nicht.
Großvater packte mich, und zum ersten und einzigen Mal in meinem Leben gab er mir eine Ohrfeige. Dabei kamen ihm die Tränen.
Er schwieg für einen kurzen Moment, um sich zu sammeln. Als er wieder sprach, war seine Stimme ganz sanft. »Als ich dir vor einigen Tagen dieses ganze Durcheinander hier gezeigt habe, da habe ich davon gesprochen, dass wir gemeinsam einen neuen Hühnerstall bauen werden. Ich habe weder gesagt, dass ich die Arbeit allein machen werde, noch, dass du sie allein machen wirst. Es war nie meine Absicht, dass du das alles hier allein machen sollst. Das hast du einfach angenommen. Als ich dir meine Hilfe angeboten haben, hast du mir geantwortet: ›Lass nur, ich komme schon allein klar.‹ Du wirst dich bestimmt noch daran erinnern, dass
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