Der Wein des Frevels
Stunden aufgewacht«, berichtete Mool. Unter seiner Robe zeichnete sich sein Arm ab, den er in der Schlinge trug. »Er alterniert zwischen tiefen Depressionen und tapferen Bemerkungen über Prothetik.«
Francis’ Erinnerungsvermögen begann zu arbeiten. Glückliche Bilder kehrten zurück. Er hatte den vergangenen Tag im Chimec-Hospital verbracht, von Dr. Zoco erfahren, daß die Amputation großartig verlaufen war, und Burne in einem friedlichen einbeinigen Schlaf beobachtet, dann war er ins Olo und in den Weinkeller zurückgegangen.
»Auf der Nerde ist das eine fortgeschrittene Kunst.«
»Die Depressionen?«
»Die Prothetik. Aber die Depressionen sicher auch.«
»Wir sind nicht hier, um über Burne zu diskutieren«, nörgelte Huaca. Man hatte ihm den Verband abgenommen. Schorfflecken übersäten sein Gesicht wie ein Insektenschwarm.
»Das hatte ich auch nicht erwartet«, entgegnete Francis. »Eher über Wissenschaft, Politik, Religion – und Geschwätz.«
»Philosophie«, korrigierte Huaca.
Vaxcala kam auf das Bett zu und schlang ihre Spinnenfinger ineinander. Sie sprach mit leiser Stimme, der man anhörte, daß sie endlich zur Sache kommen wollte. »In der letzten Nacht wurden zwei Menschen ermordet. Einer meiner Priester und ein kleines Mädchen auf der Oltac Farm. Ich habe den Gouverneur verständigt.«
Als sich Francis im Bett aufsetzte, nahmen die schrecklichsten von Vaxcalas Worten eine monströse, greifbare Gestalt an, so daß Menschen und ermordet nun wie pelzige, blutrünstige Würmer durch den Raum krochen und nach ihm suchten. Menschen… O Sonnengöttin, mein Name wird für die Quetzalianer der schlimmste aller Flüche sein. Jemanden zu lostwaxen – das wird bedeuten, daß man ihm den Dickdarm ohne Narkose herausoperiert – ihn ermordet!
Seine Zunge schien anzuschwellen, drängte nach vorn, und er fragte sich, ob er zuerst dem Bedürfnis zu erbrechen nachgeben oder zuerst in Ohnmacht fallen würde. Aber irgendwie schaffte er es, bei Bewußtsein zu bleiben.
»Wir waren bei Sonnenaufgang in Ihrem Schiff«, sagte Nazra.
»Es war abgeschlossen«, protestierte Francis schwach.
»Wir sind durch ein Bullauge hineingestiegen. Die Scheibe war abgesägt.«
»Wie konnte das passieren, Francis Lostwax?«
Noch bevor Vaxcala ihre Frage gestellt hatte, war die Antwort wie ein Messer in Francis’ Seele gedrungen. Er sah das Ding lebhaft vor seinem geistigen Auge – eine spitze organische Spirale an einem großen sonnengrünen Insekt. Er hatte Ollie ganz vergessen – was für ein Wahnsinn, dachte er. Den Käfer bei ihr zu lassen… »Der Cortexclavus kann sogar Felsen durchbohren«, sagte er, »und offensichtlich auch massive Makroplastik.«
»Tez ist klüger als Sie, Nerdenmann«, spottete Huaca. »Sie ist aus Ihrem albernen Gefängnis ausgebrochen. Was werden Sie jetzt tun?«
»Ich entnehme diesem Besuch, daß Sie alle bereits eine Antwort auf die Frage gefunden haben.« Francis schlug die Bettdecke zurück und stolperte in die Mitte des Raumes.
Vaxcala berichtete mit rauher Stimme: »Heute morgen wurde auf der Straße der Ruhe ein Zoowärter gefunden – von seinem eigenen Lipoca-Wagen zerschmettert.«
»Begreifen Sie, Doktor?« fragte Mool. »Sie ist zu einem Bazillus geworden, dem wir keine Widerstandskraft entgegensetzen können. Ganz Quetzalia ist ihr auf Gnade und Ungnade ausgeliefert.«
»Tez ist kein Bazillus!«
Ein schwefelgelber Schimmer umgab Mools Auge. »Sie ist ein Bazillus – eine widerwärtige Pest, die diese Welt auslöschen könnte.«
Nun ergriff Nazra das Wort. »Sie sind der einzige, der uns retten kann, Dr. Lostwax.«
»Ich werde sie finden«, stöhnte Francis. »Es ist diese verdammte Droge… Sie verstehen das doch, nicht wahr? Es ist nicht Tez.«
»Reiten Sie nach Norden«, sagte Nazra. »Es wird nicht schwer sein, sie aufzuspüren, nur die Kälte wird Ihnen zu schaffen machen. Bald wird sie in den Vorstädten sein. In vier Tagen in Jostya. In fünfzehn – in Cuz. Cuz ist eine Großstadt!«
»Ich werde sie einfangen und dann zur Nerde bringen. Sie ist für mich immer noch – alles.« Die Worte kamen voller Gewißheit und ganz spontan über Francis’ Lippen, und trotz seiner Verzweiflung befriedigte es ihn, daß sein Herz aus ihm gesprochen hatte.
»Ich bezweifle, daß sie freiwillig mit Ihnen gehen wird«, sagte Huaca. »Sie werden ihr weh tun müssen.«
»Weh tun? Ich liebe sie!«
Huaca legte seine zierliche Hand auf eine Öllaterne. »Verdammt, Nerdenmann,
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