Der Wein des Frevels
Wenigstens etwas, das noch in Ordnung war und funktionierte.
Er fixierte seine Gedanken auf Kino-Epen. Vor einem Jahr hatte er einen dreißigstündigen Marathon besucht, der aus obszönen historischen Spektakeln bestanden hatte. Ab der siebzehnten Stunde hatte er zusammengesunken in seinem Sessel gelegen wie ein vergessener Regenmantel. Wollüstige Frauen grinsten über einem Meer aus dunklen Kopfsilhouetten, die zu den Connaisseurs obszöner historischer Spektakel gehörten. Wenn er sich die Mühe gemacht hätte, ein paar Zentimeter hochzurutschen, hätte er Brustwarzen sehen können. Doch das hätte sich nicht gelohnt.
Der Boden hörte auf, sich steil nach unten zu senken, doch das konnte Francis’ Stimmung keineswegs heben. Er wußte, daß sie sich jetzt unter dem Flußbett mit seiner unberechenbaren Brühe befanden. Natürlich, es mußte der Burggraben gewesen sein, der die Gleitflächen des Magnumautos ruiniert hatte. Aber konnte eine simple Filtration die seltsame aggressive Ausstrahlung des ganzen Vorgangs bewirkt haben?
Der Mord in der vergangenen Nacht war bestimmt kein Traum gewesen. Francis kannte Träume. Eine Luftspiegelung? Luftspiegelungen waren nebelhaft. Aber Francis hatte Sommersprossen und einen gekräuselten weißen Bart gesehen.
Sie passierten den Fluß problemlos, und bald winkte ihnen ein ferner Sonnenstrahl. Atemlos vor Angst kletterten die Männerdurch den ansteigenden Tunnel nach oben. Als Francis endlich im gleißenden Tageslicht auftauchte, erinnerte er sich, wie es gewesen war, als er nach dem historischen Spektakelmarathon das Kino verlassen hatte. Für einen Augenblick hatten Phantasie und Wirklichkeit die Plätze getauscht, so daß er das Gefühl gehabt hatte, die Leute auf den sonnenhellen Straßen würden banale Menschenmassen darstellen, während die Wirklichkeit hinter ihm in dem dunklen Filmtheater lag.
Es lauerten ihnen keine Wilden auf.
»Wenn ihr keine Wilden einer Zivilisation wärt«, fragte Burne, »wo würdet ihr Wurzeln schlagen? An der Mündung eures Flusses?«
»An der Quelle«, erwiderte Luther. »Wir müssen unsere Waren möglichst schnell auf den Markt bringen.«
Sie marschierten nach Süden, gegen den Strom. Bald trieb ihnen UW Canis Majoris den Schweiß aus allen Poren. Zu ihrer Linken summte und schimmerte die reiselustige, gleitflächenfressende Flüssigkeit und weigerte sich, ihre Geheimnisse preiszugeben. Dahinter kroch die Mauer dahin, eine schweigende Prozession von Steinen, die kein einziges Mal ihren Bewacher, den Burggraben, verließ oder ihre glatte Perfektion mit Ecken, Türmen, Türmchen und Toren würzte.
Die Rucksackriemen begannen in Francis’ Schultern zu schneiden, und das Luminon schlug unablässig gegen sein Brustbein und züchtete eine Schramme. Sand schien überall einzudringen – in die Stiefel, die Hose, die Jacke, das Haar, unter die Fingernägel, in die Achselhöhlen und Ohren. Sogar in die Augenhöhlen. Trotzdem fühlte er sich jetzt besser. Seine romantische Ader regte sich. Er sah sich als Hauptdarsteller in einem obszönen historischen Spektakel, als dunkelhäutigen Kommandanten, der einen Wüstenangriff inszenierte. Das ist gar nicht so schlecht, überlegte er, stürz dich nur mitten hinein.
Er blickte über die Schulter, sah die tröstlichen rechtwinkeligen Ausbuchtungen von Ollies Käfig in Burnes Rucksack auf und ab hüpfen. In diesem Augenblick war seine Welt in Ordnung.
Am frühen Nachmittag hatte UW Canis Majoris seinen kleinen Planeten vorgeheizt und ging nun daran, ihn richtig durchzukochen. Die Hitze laugte Francis’ und Luthers Gehirne aus, sie fielen hinter Burne zurück und gingen nur weiter, weil sie von einem geistlosen Nachahmungstrieb vorangetrieben wurden. Wenn Burne stehenblieb, blieben auch die Zombies stehen. Wenn Burne seinen Rucksack zurechtrückte, rückten auch die Zombies ihre Rucksäcke zurecht.
Francis studierte den schwarzsilbernen Fluß und versuchte sich aus seiner Trance zu reißen. Vielleicht nützte es was, wenn man redete. »Dieses Ding hat irgendwas an sich«, sagte er und zeigte nach unten. »Ich meine weder den Glanz noch den Geruch noch die ungesunde Auswirkung auf die Wistar-Stäbe. Es ist was anderes.«
»Was denn?«
»Die – Heiligkeit.«
Luther gab keine Antwort. Ein langes Schweigen senkte sich wie die Nacht über die Männer, und sie trotteten weiter.
Endlich, nach einer Monotonie von dreißig Kilometern, sah Burne die erste Biegung dieses Tages. Der Fluß krümmte
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