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Der Wein des Frevels

Der Wein des Frevels

Titel: Der Wein des Frevels Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James Morrow
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sich anmutig und verschwand aus dem Blickfeld. Lag hinter dieser Kurve das ersehnte Tor?
    »Seht doch!« Burne war stehengeblieben. Als Francis und Luther es bemerkten, erstarrten ihre geschwächten Beine. »Vielleicht«, sagte Burne, »wartet die Rettung direkt hinter dieser…« Der Gedanke wurde nicht fortgesetzt. Burnes Kiefer bewegte sich zwar immer noch, aber die Worte kamen nicht hervor. Er holte sein Proximaskop aus dem Rucksack und richtete es auf die Mauer.
    Auf der Mauer war Leben – menschliches Leben, zivilisiertes Leben – Leben, das aller Wahrscheinlichkeit nach von den Kindern der Kinder aus der Eden Drei abstammte.
    Francis nahm das Proximaskop, sah das Leben – einen Mann und seinen Sohn und seine Tochter. Sie saßen auf einem merkwürdigen sechsbeinigen Tier, das so aussah wie eine Kinderzeichnung von einem Pferd. Das Mädchen war ein hübscher Jungteenager mit dunkler Haut und sinnlichem schwarzem Haar. Der bebrillte jüngere Bruder machte einen gelehrten Eindruck und schien dieser Welt ein wenig müde zu sein, wie ein Wunderkind, das zu viele Sonaten komponiert hatte. Und der Vater hatte seine Tochter vermutlich mit so viel liebevoller Begeisterung überschüttet und seinen Sohn mit so viel ernsthafter Rücksichtnahme, daß für ihn selber nichts weiter übriggeblieben war als ein massiger Körperbau und ein langweiliges ehrliches Gesicht.
    Alle drei Bürger strahlten die fröhliche Sorglosigkeit einer Familie aus, die einen Ferientag verbringt. Und es war deutlich zu erkennen, daß der Ritt auf der Mauer kein anderes Ziel verfolgte als das Vergnügen, das ein Ritt auf dieser Mauer bieten konnte.
    »Schaut euch ihre Roben an!« schrie Francis und gab das Proximaskop an Luther weiter. »Sie sind genauso angezogen wie die Leute in meinem Traum.«
    »Sind sie es?« fragte Luther.
    »Nein, aber sie gehören demselben Kulturkreis an, das steht fest. Es war also kein Traum.«
    »Der Mann sieht aber nicht so aus, als würde er einem Kind in die Rippen treten.«
    »Dieser Bildhauer sah auch nicht so aus.«
    Der Vater sah die Wissenschaftler, und das Entsetzen warf ihn fast vom Pferd. Er entriß seiner Tochter die Zügel und zerrte so lange daran, bis das Erbsengehirn des Lipoca diese Wahrnehmung korrekt übersetzte und stehenblieb.
    Die Kinder waren mehr neugierig als erschrocken. Sie hatten schon immer wissen wollen, wie diese mythischen Gehirnfresser aussahen. »Wo sind denn ihre Zähne, Vater?« fragte der Junge.
    »Das sind keine Neurovoren. Ich weiß nicht, was sie sind.«
    »Ich wette, sie kommen von einem anderen Planeten!« sagte das Mädchen.
    Burne verzog sein Gesicht zu einem falschen breiten Grinsen und brüllte: »Friede!«, wobei er die Handflächen nach oben streckte, als wolle er ein Zirkustrapez einfangen. Francis und Luther, immer noch im Banne ihrer Erschöpfung, folgten seinem Beispiel. Die Nerdenbewohner glaubten, daß sie nun wie die vollendeten Personifikationen ihres guten Willens aussahen.
    In den Augen des Mädchens waren die Nerdenbewohner die vollendeten Personifikationen der Einfalt. »Warum grinsen sie so?« flüsterte sie. »Sind die Leute, die auf anderen Planeten leben, alle vertrottelt?«
    Die Antwort ihres Vaters bestand aus den gemurmelten Worten: »Großer Gott der Gehirne, sie sprechen Englisch!« Dann bildete er mit seinen Händen ein Megaphon und schrie: »Mein Name ist Zamanta! Unser Planet heißt Luta – und unser Land Quetzalia! Wo wohnen Sie?«
    Francis beschloß, bei dieser historischen Begegnung eine gewisse Rolle zu spielen. »Auf dem vierten Planeten nach der Sonne!« verkündete er triumphierend, dann wurde ihm flau im Magen. Hatte er richtig gerechnet? Lapus, Verne, Kritonia, Nerde, Carlotta (wie hatte Zamanta sie genannt? Luta), Arete… Ja, es war der vierte.
    »Sie sind Menschen«, flüsterte Zamanta seiner Tochter zu.
    »Da bin ich aber sehr enttäuscht«, erwiderte sie, obwohl sie ihren Gefühlen auf höchst gleichgültige Weise. Ausdruck gab. »Ich hatte gehofft, solche Leute würden zumindest ein paar Tentakel oder so was ähnliches haben.«
    Gleichgültigkeit paßte keineswegs zu Zamantas Stimmung. Vorsichtig entsandte er eine weitere Frage in die Wüste. »Was essen Sie?«
    »Nur Gemüse!« antwortete Francis in bizarrer Überzeugung.
    »Wir hassen die Barbaren auch!« fügte Luther hinzu.
    Zamantas Seufzer war ein Born reiner Dankbarkeit.
    Die Gehirne der Wissenschaftler tickten im Einklang. Dies war eine Chance, zur Darwin

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