Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Wein des Frevels

Der Wein des Frevels

Titel: Der Wein des Frevels Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James Morrow
Vom Netzwerk:
ekelerregenden Anblick. Minnix hatte einen seiner wenigen rationalen Gedanken dieses Tages und überlegte, daß das geistige Bedürfnis nach bilateraler Symmetrie tief verwurzelt war. Am liebsten hätte er sich übergeben.
    Ein zweiter Schwertstreich beendete das Elend des Monstrums. So, dachte er, so haben meine Erdenahnen also ihre Angelegenheiten geregelt. So wurden Länder erobert, Reiche erweitert, Aufstände niedergeschlagen, Gefangene genommen, Sklaven gehalten, Ketzer bekehrt, Gefangene zum Sprechen gebracht. Zum erstenmal in seinem Leben fühlte sich Minnix als Teil der Menschheitsgeschichte. Und er fand, daß diese Geschichte schrecklich war.
     
    Am frühen Nachmittag standen noch neunhundertsiebenundfünfzig Quetzalianer und ein Neurovore. Der eine Neurovore stand noch, weil ihm sein eigener Speer durch den Bauch und in den Boden darunter gerammt worden war. Der Tag gehörte Burne.
    Vorsichtig betrat die Erste Armee die Oase und marschierte, einem Befehl gehorchend, zum größten Teich. Burne posierte auf einem hohen Felsblock und erwartete seine Truppen, ebenso wie sein Spiegelbild, das auf dem Wasser schimmerte. Die beiden Generäle schwangen jubelnd ihre Schwerter hoch und begannen zu sprechen. »Soldaten! Heute habt ihr einen großen Sieg errungen. Quetzalia ist frei!« Abrupt erstarrten die Gesten, der Tonfall senkte sich. »Aber bedenkt, daß euch die schlimmste Arbeit noch bevorsteht. In dieser Oase sind die letzten Reste der Neurovorenrasse verstreut, jene, die nicht an der Schlacht teilgenommen haben. Die Kranken, die Alten und – ja, auch die Kinder, die von den Alten und Kranken beaufsichtigt werden.«
    »Müssen wir Kinder töten, Sir?« fragte ein bleicher Leutnant.
    »In ein paar Tagen werden Sie wieder Zolmec praktizieren, und dann werden Ihnen die Waffen nichts mehr nützen. Mit der Zeit wachsen die Kinder zu einer bösen Bedrohung heran. So einfach ist das.«
    »Wir könnten uns Injektionen geben, wenn es soweit ist«, beharrte der Leutnant.
    »In fünfzehn Jahren werden Sie ebensowenig bereit sein, Kinder zu töten, wie jetzt. Los, Soldaten, zieht eure Schwerter!«
     
    Das Massaker dauerte bis nach dem blutroten Sonnenuntergang an. So unaussprechlich war dieser letzte Gewaltakt, daß die Soldaten, als er beendet war, Hals über Kopf aus der Oase stürmten und ihr Lager in der Wüste aufschlugen. Die Teiche gehörten wieder den Neurovoren, ihren hingemetzelten Leichen, ihren wütenden Geistern.
    Flammen erblühten in der Wüste. Auf Lagerfeuern wurde das Abendessen gekocht. Größere, hoch auflodernde Feuer verzehrten die toten Quetzalianer. Burne wanderte zwischen den Scheiterhaufen umher. Die Hitze erwärmte ihn, heiterte ihn aber nicht auf. Die kalte Winterluft war leichter zu besiegen als das Eis, das in seinem Inneren gefror.
    Komm, Newman, sagte er sich, freu dich über deinen Sieg! Das ist ein Befehl. Gottes heilige Steuerrückzahlung! Die Neurovoren haben keine Kinder produziert, sondern haarige kleine Dinger.
    Eine brüske Stimme, die aus dem Dunkel drang, beendete seine Seelenqual. »Wer ist da?«
    »General Newman.«
    Ein Soldat trat ins Licht eines brennenden Scheiterhaufens, einen Teekessel in der Hand. Sein Kindergesicht und die zögernden Schritte verrieten, daß der brüske Ton forciert war. »Ich dachte, Sie seien ein Neurovore.«
    »Es gibt keine Neurovoren mehr. Wie heißen Sie?«
    »Petla, Sir.« Er stellte seinen Kessel auf den Boden.
    »Gehen Sie mit mir spazieren, Soldat Petla.«
    Die Scheiterhaufen bildeten eine gut beleuchtete Straße. Burne versuchte Konversation zu machen. »Kannten Sie einige von diesen Leuten?« Er machte eine ziellose Handbewegung, und Petla nickte. »Wahrscheinlich ist Ihnen zum Weinen zumute.«
    »Das wird noch kommen. Hier, direkt vor uns, verbrennt Ras, mein alter Lehrer. Hinter uns Mochi Shappa, ein Vetter.«
    »Ras, der Astronom?«
    »Ja. Der Mann, der gleich zu Anfang getötet wurde.«
    »Nein, zu dem Zeitpunkt war er noch nicht tot. Ich denke, er hat noch ein paar Stunden länger gelebt.«
    »Ich frage mich, ob diese Stunden wichtig für ihn waren.«
    Schweigend gingen sie weiter, bogen immer nur nach links. Ein paar Minuten später waren sie wieder bei Petlas Kessel angelangt. Er hängte ihn über sein Lagerfeuer, zog einen Keramikbecher aus seiner Jacke, der mit einem subtil dargestellten glasierten Auge verziert war. »Möchten Sie einen Becher Tee?«
    Burne gab keine Antwort und fragte: »Ich habe Lipocas brennen sehen. Haben

Weitere Kostenlose Bücher