Der weiße Stern: Roman (Knaur TB) (German Edition)
Teil des endlosen Flüchtlingstrecks dar, der von San Felipe aufgebrochen war, und mussten sich dessen Geschwindigkeit anpassen.
Zum Glück hörte der Regen am nächsten Tag auf. Dafür aber fegte ein eisiger Wind über das Land und quälte Mensch und Tier. Auf der versumpften Straße mühten sich die beiden Stuten mit dem Wagen ab. Um die Pferde nicht zu erschöpfen, stiegen die Frauen schließlich ab und gingen zu Fuß nebenher.
Gisela wollte dies ebenfalls tun, aber das kam bei Nizhoni und Anneliese nicht gut an.
»Es ist dein Wagen, und ein Pferd gehört ebenfalls dir«, erklärte die ehemalige Pensionswirtin. »Daher wirst du gefälligst sitzen bleiben. Außerdem bist du schwanger!«
»Ich bin auch schwanger«, maulte Rachel.
»Du wirst aber kaum in den nächsten Tagen gebären!«, spottete Gertrude. »Außerdem ist Bewegung für Frauen zu Beginn der Schwangerschaft gesund! Und im Übrigen kannst du, wenn es dir bei uns nicht passt, gerne zu deiner Familie zurückkehren.«
Rachel antwortete mit einem Schimpfwort, trottete dann aber hinter den anderen her. Um sie herum hörten sie Leute husten, und Marguerite klagte über ein Kratzen im Hals. Daher überließ Nizhoni es Gertrude, die Scheckstute zu führen, und suchte selbst abseits des Weges nach halbwegs trockenem Holz, mit dem sie am Abend ein Feuer entzünden konnte. Auf die Idee war nicht nur sie gekommen, und so musste sie mehr als einmal sehr schnell laufen, weil einige Männer ihr das, was sie gefunden hatte, entreißen wollten.
Gegen Mittag entdeckten sie neben dem Weg ein frisches Grab, in dem ein schlichtes Kreuz steckte. Wer hier der ewigen Seligkeit entgegenschlief, konnte ihnen keiner sagen. Der Anblick trieb Gisela die Tränen in die Augen, und vor ihrem inneren Auge sah sie die Gräber in den Weiten Russlands und fühlte wieder den Schrecken, den sie einst empfunden hatte. Dabei vermischten sich Vergangenheit und Gegenwart immer stärker.
Mehrmals sprach sie Gertrude und auch Anneliese mit Mama an und murmelte immer wieder die Namen von Soldaten, die während Napoleons Rückmarsch gestorben waren und die sie längst vergessen zu haben glaubte. Nizhoni beobachtete entsetzt, wie ihre Freundin sich immer mehr in sich zurückzog und am Abend, als sie endlich Lager beziehen konnten, kaum noch reagierte, wenn man etwas zu ihr sagte.
»Was hast du?«, fragte sie höchst besorgt.
»Nichts!«, wehrte Gisela ab und reichte ihr das gesammelte Holz, das unter Tag weiter abgetrocknet war.
Diesmal konnten sie ein Feuer entzünden und sich daran wärmen. Nizhoni holte von einem Bach Wasser, schüttelte aber den Kopf, als sie sah, wie weit die Flüchtlinge das Ufer niedergetreten hatten. Einige schöpften das Wasser, obwohl es Schmutzschlieren aufwies, weil ihnen der Weg weiter bachaufwärts zu beschwerlich war. Auch Nizhoni fühlte sich wie zerschlagen, doch sie hatte gelernt, wie wichtig sauberes Wasser war.
Der Tee, den sie wenig später damit aufbrühte, war nicht jedermanns Geschmack. Rachel spie den ersten Schluck aus und stellte die Tasse zurück.
»Das Zeug trinke ich nicht!«, rief sie angeekelt.
»Dann lässt du es eben!« Nizhoni hatte keine Lust, sich mit ihr zu streiten, achtete aber darauf, dass sowohl Gisela wie auch Josef ihre Tassen leerten. Anneliese, Gertrude und Arlette würgten das Gebräu ebenfalls hinunter, während Marguerite und Cécile so aussahen, als wollten sie Rachels Beispiel folgen.
Im Augenblick ging es Gisela wieder etwas besser, und sie sah die beiden auffordernd an. »Trinkt! Es ist Medizin. Nizhoni hat sie mir schon mehrfach zubereitet, und ich weiß, dass sie hilft!«
Schließlich überwanden Cécile und Marguerite sich und schluckten den stechend schmeckenden Tee.
Rachel hingegen schüttete ihre Tasse aus. »Das ist Indianerzeug. So etwas trinke ich nicht!«
»Beschwere dich nicht, wenn du morgen ebenso schlimm hustest wie die Frau dort drüben!« Gisela wies auf ein Siedlerpaar, dessen Wagen neben dem ihren stand. Die Frau krümmte sich unter einem Hustenanfall, während der Mann hilflos danebenstand.
Kurz entschlossen füllte Nizhoni den Rest ihres Tees in ihre Tasse und trug diese hinüber. »Trink! Vielleicht hilft es dir«, sprach sie die Frau an.
Diese blickte mühsam zu ihr auf, nahm die Tasse und trank den Tee in den kurzen Pausen, die ihr die Hustenkrämpfe ließen. Nach einer Weile ebbten diese etwas ab, und sie sah Nizhoni erleichtert an. »Danke!«
Nizhoni kehrte zu den anderen zurück und
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