Der weiße Stern: Roman (Knaur TB) (German Edition)
erhitzten Steinen.
Josef sah ihr mit großen Augen zu, während Gisela die meiste Zeit dahindämmerte. Sie schien in einer anderen Welt zu weilen, denn sie murmelte immer wieder Begriffe und Namen, mit denen Nizhoni nichts anzufangen wusste. Nur mit Mühe gelang es der Indianerin, ihrer Freundin einige Löffel Suppe einzuflößen.
Gisela lächelte sogar ein wenig und strich mit den Fingerspitzen über ihr Gesicht. »Das schmeckt gut, Mama!«
»Das freut mich!«, antwortete Nizhoni und seufzte.
Offensichtlich war der Geist ihrer Freundin verwirrt. Das bürdete ihr noch mehr Verantwortung auf, denn sie konnte Gisela nun nicht mehr fragen, wie sie sich im Zweifelsfall entscheiden sollte. Fahles Haar hatte ihnen geraten, nach Louisiana zu gehen, wenn Gefahr drohte. Der Rat war gut gewesen, als sie noch auf der Farm gelebt hatten. Doch nun zogen viele Texaner in diese Richtung, und das konnte die Krieger des großen Häuptlings von Mexiko anlocken. Daher hielt sie es für besser, diesen Weg zu meiden. Blieben sie aber in der Prärie, würden sie höchstwahrscheinlich streifenden Indianern begegnen. Nizhoni kam der Gedanke, dass Giselas verwirrter Zustand in einem solchen Fall sogar von Vorteil war. Ihr Volk zeigte eine heilige Scheu vor solchen Menschen und sah sie als Boten der Geisterwelt an.
Diese Überlegung gab den Ausschlag. Als der Morgen anbrach und sie Gisela wieder auf das Travois bettete, beschloss sie, die Welt des weißen Mannes zu meiden und ihr Glück tiefer in der Prärie zu versuchen. Dort, so hoffte sie, konnte Gisela jenseits der Wirren, die dieses Land erfasst hielten, ihr Kind zur Welt bringen.
12.
A m nächsten Abend erreichte Nizhoni eine Stelle, die ihr als Versteck geeignet schien. Es handelte sich um ein kleines Wäldchen, in dem sie einige Pekannussbäume entdeckte, deren Nüsse sie sammeln konnte. Ein paar öffnete sie sofort und reichte die Kerne Josef. Der Junge aß sie und bettelte dann um mehr, doch Nizhoni schüttelte den Kopf.
»Zu viel ist nicht gut! Das macht Grummeln im Bauch.«
Josef sah ganz so aus, als wolle er das in Kauf nehmen, gab sich aber mit Nizhonis Suppe zufrieden. Auch Gisela aß diesmal mit gutem Appetit und schien im Kopf wieder klar zu sein.
»Ich glaube, das Kind wird bald kommen«, sagte sie mit kläglicher Miene.
Auch Nizhoni war nicht entgangen, dass ihr Leib sich bereits gesenkt hatte. »Das ist nicht gut, denn es sieht so aus, als würde es bald wieder regnen«, sagte sie.
»Ich kann doch nichts dafür!«, seufzte Gisela und blickte zum Himmel auf. Ein einzelner weißer Stern leuchtete am Abendhimmel. Sogleich stellte Gisela sich vor, dass auch Walther diesen Stern sehen würde, und fühlte sich ihm nahe.
»Ich flechte dir morgen eine Hütte, in der du vor Wind und Regen geschützt bist«, versprach Nizhoni, während sie mehrere Ruten abschnitt und Schlingen daraus fertigte.
»Vielleicht fange ich über Nacht ein Erdhörnchen oder ein Kaninchen«, meinte sie, als sie einen Ast als Fackel nahm und losging, um die Schlingen zu legen.
Während ihrer Abwesenheit schmiegte Josef sich an seine Mutter. »Geht es dir wieder besser, Mama?«
»Ja«, log Gisela, die sich niemals schlechter gefühlt hatte.
»Ich bin froh, dass die anderen weg sind. Nizhoni ist klüger als die alle zusammen.«
Josef hatte nicht vergessen, dass Rachel während ihrer Reise nach San Felipe de Austin mehrere Pekannüsse gesammelt, ihm aber keine einzige abgegeben hatte.
»Du musst Nizhoni gehorchen und darfst ihr keine Sorgen bereiten«, mahnte Gisela.
»Das tue ich!«, versicherte der Junge. »Nizhoni hat mir gezeigt, auf welche Pflanzen ich achtgeben muss, und ich habe ihr heute auch die Schlange gezeigt, die in der Suppe war.«
Josefs munteres Plappern beruhigte Gisela. Sie streichelte ihn, spürte aber, dass die Gegenwart in ihrem Kopf langsam wieder der Vergangenheit wich, und war daher froh, als Nizhoni zurückkehrte.
»Gib auf meinen Jungen acht«, bat sie.
Die Indianerin nickte. »Das werde ich tun. Doch jetzt sollten wir schlafen. Morgen flechte ich die Hütte. Mögen die Geister unserer Ahnen uns beschützen.«
Es klang wie ein Abendgebet, und Gisela dachte unwillkürlich an ihre Eltern, die beide auf dem Schlachtfeld von Waterloo den Tod gefunden hatten. Ihr war, als würden diese sie rufen, und sie stemmte sich dagegen.
»Noch nicht!«, stöhnte sie. »Zuerst muss ich mein Kind zur Welt bringen.«
Dann versank sie wieder in einen Alptraum, in dem statt
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