Der weiße Stern: Roman (Knaur TB) (German Edition)
dies einem sturschädeligen Texaner beizubringen war etwas, was auch er sich nicht zutraute.
»Die Männer sollen sich ausruhen und ihre Ausrüstung überprüfen. Wenn es hart auf hart kommt, muss alles in Ordnung sein«, sagte er noch und ging weiter.
Eine halbe Stunde später kam er zu seinen eigenen Leuten. Diese hatten bereits Lager bezogen und ihre Kochfeuer entzündet.
»Wie wäre es mit einem Kaffee?«, fragte Thierry.
»Danke, den kann ich brauchen!« Walther nahm die Tasse entgegen und würgte das bittere, schwarze Gebräu hinunter.
»Mit Milch und Zucker würde er besser schmecken«, meinte er.
»Haben wir derzeit nicht. Ich habe eine Bestellung an Santa Ana aufgegeben, ihn uns zu bringen, aber bis jetzt ist er noch nicht da!« Thierry grinste und ließ sich nachschenken.
Walther verzichtete auf eine zweite Tasse und setzte sich auf den einfachen Klappstuhl, den ein Schreiner in Austins ehemaliger Siedlung für ihn gemacht hatte.
Kurz darauf brachte Lucien ihm das Abendessen. Es bestand aus Bohnen, Maiskörnern und Speck und schmeckte so fad, dass er sich beinahe nach Rosita Jemelins Tortillas sehnte.
Deren Ehemann Diego gesellte sich mit seinem Teller zu ihm. »Señor Waltero, wissen Sie, ob Ramón de Gamuzana bei Santa Anas Truppen ist oder sich General Cos angeschlossen hat?«
»Ich nehme an, dass er bei Santa Ana geblieben ist. Ramón hat sich immer in der Nähe dieses Mannes gehalten. Warum sollte es auf einmal anders sein?«
»Ich bete und hoffe, dass er bei ihm ist und mir vor die Muskete läuft. Sie haben gesehen, wie die Indios, die er geschickt hat, meine Frau und meine Kinder zugerichtet haben. Wenn die Wilden sie wenigstens nur umgebracht hätten! Aber so …« Jemelin konnte nicht weitersprechen, weil ihn die Erinnerung überwältigte.
»Es tut mir leid, dass es so gekommen ist«, sagte Walther mit belegter Stimme.
»Es hieß, er hätte die Indios gegen die Americanos hetzen wollen. Aber ich frage mich, welcher Segen liegt auf einem Krieg, in dem Frauen und kleine Mädchen geschändet und auf widerlichste Art und Weise zu Tode geschunden werden? Keine Frau und kein Mädchen hat das verdient – weder eine Americana noch eine Mexicana. Ich weiß, dass Rache schlecht ist und Gott sie nicht will. Aber ich kann nicht mit dem Wissen weiterleben, dass der Mann, der die Tortillas meiner Frau gegessen und unsere Kinder gestreichelt hat, für deren Tod verantwortlich ist und ohne Strafe bleibt.«
»Das verstehe ich gut, Señor Jemelin, und ich würde nicht anders handeln!« Walther legte einen Arm um seinen Freund und zeigte mit der freien Hand zum Himmel empor, auf dem eben ein erster, weiß blitzender Stern erschien.
»Sehen Sie den Stern dort, Muchacho? Er kündet uns die Nacht an, aus der ein neuer Tag erwachen wird. Auch für uns wird es einen neuen Tag geben. Wenn dieser Krieg vorbei ist, werden Sie auf Ihre Hacienda zurückkehren. Es wird eine neue Frau für Sie geben, die frische Blumen auf Rositas Grab und das der Kinder legen wird. Und Sie werden neue Kinder aufwachsen sehen.«
Walthers Appell ging jedoch ins Leere. Diego Jemelin sah kurz zu dem Stern auf und schüttelte dann den Kopf. »In mir ist alles zerschlagen, Señor. Alles, was mir einmal etwas bedeutet hat, existiert nicht mehr – außer meiner Rache. Ich will Ramón de Gamuzana zu meinen Füßen sehen und ihn anspucken können.«
»Gebe Gott, dass es so kommt!« Walther dachte daran, dass Santa Anas Armee immer noch doppelt so stark war wie die eigene und ihnen ein harter, gnadenloser Kampf bevorstand. Viele Männer, die heute noch zusammen an den Lagerfeuern saßen, würden den darauffolgenden Morgen nicht mehr erleben. Vielleicht gehörte auch er zu jenen, die steif und kalt liegen blieben. Der Gedanke machte ihn traurig, denn er hätte sich gerne von Gisela und Josef verabschiedet und auch erfahren, ob seine Frau ihm nun einen Sohn oder eine Tochter geboren hatte.
4.
A m nächsten Tag war von den Mexikanern noch nichts zu sehen. Doch Rudledge und andere Scouts brachten die Nachricht, dass Santa Ana geradewegs auf den San Jacinto River zuhielt. »Seine Späher haben unser Lager bereits ausgemacht«, berichtete Rudledge. »Wie es aussieht, glaubt der Westentaschen-Napoleon, dass wir am Ende sind und nicht mehr weiterkönnen. Jetzt will er uns endgültig in den Sack stecken.«
»Das wird er bleiben lassen«, antwortete Houston mit einem gekünstelten Lachen.
»Er dürfte merken, dass unser Sack größer ist
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