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Der weiße Stern: Roman (Knaur TB) (German Edition)

Der weiße Stern: Roman (Knaur TB) (German Edition)

Titel: Der weiße Stern: Roman (Knaur TB) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Iny Lorentz
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vorerst Ma’iitsoh zu nennen. Es passte zu Náshdóítsoh, wie sie Josef für sich nannte. Wolf und Puma waren gute Namen für zwei Jungen, und die Geister dieser Tiere würden ihnen helfen, die Gefahren zu überwinden, die ihnen drohten.
    Mit einer müden Bewegung kehrte Nizhoni dem frischen Grab den Rücken, fasste Josef bei der Hand und ging mit ihm zur Hütte zurück. Sie hatte die Ziege daneben angebunden und nahm nun die Schüssel, um sie zu melken.
    Josef sah ihr zu und streckte auch schon die Hand aus, um die Schüssel zu nehmen. Doch da schüttelte Nizhoni den Kopf.
    »Die Milch ist für deinen Bruder. Er kann noch keine Suppe essen.«
    Das sah Josef ein. Hungrig sah er zu, wie Nizhoni dem Säugling vorsichtig die Milch einflößte. Sie schien dem Kleinen nicht zu schmecken, denn er spuckte sie immer wieder aus. Irgendwann aber siegte sein Hunger, und er trank.
    »So ist es gut«, lobte Nizhoni ihn und reichte Josef den Rest der Milch.
    »Du bleibst hier bei Ma’iitsoh, während ich nach meinen Schlingen sehe«, befahl sie ihm.
    Josef nickte, auch wenn ihm das kleine Bündel Mensch ein wenig unheimlich war. Unter einem Bruder hatte er sich jemanden vorgestellt, mit dem er herumtollen konnte. Dazu aber war der Kleine wahrlich nicht in der Lage. Er setzte sich hin, kitzelte den Säugling am Kinn und meinte ihn lächeln zu sehen. In dem Augenblick fand er, dass der Name, den Nizhoni dem Kind gegeben hatte, nicht passte. Ein Wolf hätte grimmiger aussehen müssen.
    Unterdessen eilte Nizhoni leichtfüßig durch den Wald und wurde dadurch belohnt, dass sich in einer ihrer Schlingen ein Eselhase verfangen hatte. An diesem Tag und auch am nächsten würden Josef und sie nicht hungern müssen. Sie löste das Tier aus der Schlinge und ging weiter. Am Rand des Wäldchens angekommen, schweifte ihr Blick über die Prärie. Da sah sie auf einmal Reiter, die sich fast schnurgerade ihrem Versteck näherten.
    Nizhoni hoffte zunächst noch, es handele sich um Fahles Haar und seine Männer, und ihr Herz machte einen Sprung. Doch dann erkannte sie, dass die Reiter ausnahmslos blaue Jacken trugen und über ihnen Lanzenspitzen im Sonnenlicht funkelten.
    »Mexicanos!« Das Wort war gleichbedeutend mit Feind.
    So rasch sie konnte, kehrte Nizhoni zu der Hütte zurück und verwischte die Spuren, die sie und Josef in den letzten Tagen hinterlassen hatten. Zuletzt packte sie den Säugling mit der einen und den Strick der Ziege mit der anderen Hand und brachte beide tiefer in das Wäldchen hinein. Anschließend holte sie ihre Stute und befahl dieser, sich auf den Boden zu legen. Der Mustang gehorchte und würde weder wiehern noch laut schnauben.
    Doch was machen die Ziege oder das Kind?, fragte Nizhoni sich besorgt.
    »Wir müssen ganz still sein«, mahnte sie Josef und forderte ihn auf, sich ebenfalls auf den Boden zu legen und sich nicht mehr zu rühren. Sie selbst lauschte mit angespannten Sinnen nach verdächtigen Geräuschen. Schon bald hörte sie Stimmen, konnte aber nur einzelne Worte verstehen. Offenbar wollten die mexikanischen Krieger ihre Pferde an dem Bach tränken.
    »Halte eine Weile meinen Gaul. Ich muss in die Büsche«, klang es viel zu nahe für sie auf.
    »Mach ich!«, antwortete ein anderer Soldat.
    Nizhoni legte beide Flinten und die Pistolen zurecht, bereit, sich bis zum letzten Atemzug zu wehren. Anhand der Geräusche verfolgte sie, wie der Mann in das Wäldchen eindrang. Ihre Hand wanderte zur ersten Flinte, und sie wollte sie schon spannen, als sie nur noch das angestrengte Ächzen des Mexikaners vernahm. Danach verließ dieser das Wäldchen und gesellte sich wieder zu seinen Kameraden.
    Noch wagte Nizhoni nicht aufzuatmen. Erst als Hufschlag aufklang und sich in der Ferne verlor, verließ sie ihr Versteck und schlich bis zum Waldrand. Dort sah sie, dass die Mexikaner sich schon ein ganzes Stück entfernt hatten. Dennoch war ihr der Aufenthalt an dieser Stelle verleidet. Wenn die Reiter nur eine Vorhut waren, würde bald die gesamte mexikanische Armee hier vorbeikommen und sie und die Kinder entdecken.
    Einen Augenblick lang schwankte sie, was sie tun sollte, sagte sich dann aber, dass die Weite der Prärie ihr den besten Schutz bot, und beschloss, sich westwärts zu wenden. Sie kehrte zu den Kindern und den beiden Tieren zurück und brachte sie alle an den Waldrand.
    Josef sah ihr neugierig zu, als sie das Travois zurechtmachte und trockenes Feuerholz und all das darauf packte, was ihnen geblieben war. Das

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