Der weiße Stern: Roman (Knaur TB) (German Edition)
Uniform lag auf einem Tisch.
»Habt ihr ihn?«, hörte Walther Houston rufen.
»Nein!«, rief er zurück. »Wir haben nur seine Uniform gefangen genommen.«
»Verdammt! Los, sucht ihn! Weit kann er nicht sein«, schrie Houston. Als Walther hinaustrat, um weiter nach dem Mann zu suchen, den er als einer der wenigen Texaner schon einmal gesehen hatte, tauchte aus dem benachbarten Zelt Ramón de Gamuzana auf.
Dieser hatte sich in dem Bewusstsein schlafen gelegt, der Offizier der Wache würde seine Pflicht erfüllen. Doch da Santa Ana keinen Befehl gegeben hatte, Posten aufzustellen, hatte der Mann darauf verzichtet.
Ein einziger Blick verriet Gamuzana, dass die Schlacht für die Mexikaner verloren war. Kurz erwog er zu fliehen, sah dann aber Walther und Jemelin vor sich. Mit einem wütenden Schrei stürzte er auf seinen ehemaligen Untergebenen zu und schwang den Säbel mit aller Kraft.
Walther drückte noch ab, doch seine Pistole war leergeschossen, und er musste hilflos mit ansehen, wie die scharfe Klinge sich tief in Jemelins Leib bohrte. Im nächsten Moment klang ein gutes Dutzend Schüsse auf, und Ramón de Gamuzana stürzte wie von der Axt gefällt zu Boden.
»Ist er tot, Señor Waltero?«, fragte Jemelin keuchend.
Walther beugte sich über Don Ramón. »Ja, er ist tot«, antwortete er und wandte sich seinem Freund zu.
»Hol den Arzt! Rasch!«, forderte er Thierry auf.
Da hob Jemelin die Hand. »Ich brauche keinen Arzt mehr. Rosita und die Kinder rufen mich, und ich will zu ihnen. Dort, wo sie sind, ist es wunderschön!«
»So darfst du nicht reden, Amigo«, flehte Walther, doch sein Nachbar schüttelte lächelnd den Kopf.
»Es ist gut so! Wo ich jetzt hingehe, werde ich glücklicher sein, als es mir hier je möglich sein würde. Nur eines bedrückt mich noch: Ich will nicht, dass mein Land von einem Fremden übernommen wird. Nehmen Sie es, mein Freund, und versprechen Sie mir, die Gräber Rositas und der Kinder zu pflegen – und wenn es möglich ist, mich dort zu begraben!«
»Das geht nicht so einfach«, antwortete Walther. »Ich kann nicht hingehen und sagen, das ist jetzt mein Land. Außerdem gehört es Ihnen, und ich möchte, dass Sie dorthin zurückkehren.«
Da spürte er eine Hand schwer auf seiner Schulter, und als er aufschaute, erkannte er Houston. Dessen Wunde war inzwischen verbunden worden. Allerdings sah er müde und bedrückt aus.
»Tun Sie dem Mann den Gefallen, Fitchner. Er wünscht es, und Sie haben es verdient.«
»Aber …«
»Kein Aber!«, fuhr Houston fort. »Als kommandierender General kann ich Testamente ausschreiben und beglaubigen. Das werde ich jetzt tun – oder besser gesagt, tun lassen.« Damit winkte er einen Offizier heran und befahl ihm, Jemelins Letzten Willen zu Papier zu bringen. Er selbst unterschrieb als Zeuge und ließ auch drei weitere Männer unterschreiben.
»Soll ich es vorlesen?«, fragte er Jemelin, der von Augenblick zu Augenblick schwächer wurde.
»Nein, das dauert zu lange«, flüsterte der Sterbende. »Sagen Sie nur, dass es so ist, wie ich es will.«
»Darauf können Sie sich verlassen, mein Freund! Wenn Sie noch die Kraft haben, unterschreiben Sie es.«
»Richten Sie mich auf!«, bat Jemelin Walther. Dieser stützte ihn, und sein Nachbar setzte sein Zeichen auf das Papier.
»Vergessen Sie nicht, die Gräber zu pflegen!«, bat Jemelin noch einmal eindringlich, dann sank sein Kopf zurück, und Walther begriff, dass er einen Toten in den Armen hielt.
»Das wollte ich nicht«, sagte er leise.
»So etwas will keiner! Schade um den Mann, aber das Leben muss weitergehen. Nehmen Sie sich ein paar Männer und suchen Sie die Umgebung ab. Santa Ana muss gefunden werden!«
»Jawohl, General!« Walther schüttelte die Beklemmung ab, die ihn bei Jemelins Tod erfasst hatte, und winkte Thierry, Lucien, O’Corra, Tobolinski und Fuller, mit ihm zu kommen.
Houston sah ihm nach und sagte sich, dass es klug gewesen war, Walther eine Aufgabe zu übertragen. Auf diese Weise kam der Colonel besser über Jemelins Tod hinweg. Es war bedauerlich, dass ausgerechnet dieser Mann als einer der wenigen im Heer der Texaner hatte sterben müssen. Die Mexikaner hingegen hatten mehr als achthundert Mann durch Tod und Verwundung verloren, und von den Überlebenden war kaum einer entkommen.
Der Knall einer Büchse riss Houston aus seinen Überlegungen. Er sah, wie mehrere Männer wahllos damit begannen, gefangene Mexikaner niederzuschießen, und stapfte voller Zorn zu
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