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Der weiße Stern: Roman (Knaur TB) (German Edition)

Der weiße Stern: Roman (Knaur TB) (German Edition)

Titel: Der weiße Stern: Roman (Knaur TB) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Iny Lorentz
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war.
    »Wer seid ihr?«, antwortete sie mit einer Gegenfrage.
    »Ich Büffelkopf, Häuptling der Karankawa.«
    »Du lügst! Ihr seid keine Karankawa!« Nizhoni zielte weiter auf den Mann, der sich als Häuptling des größeren Stammes ausgegeben hatte, um Eindruck zu schinden.
    »Wir Kohani, Brüder der Karankawa«, gab er zu.
    Nizhoni nahm nicht an, dass er mehr Leute anführte als die paar, die bei ihm waren. Auf einen Kampf mit ihnen durfte sie sich jedoch nur im äußersten Notfall einlassen, und auch dann musste jede ihrer Kugeln treffen.
    »Die Prärie ist weit und bietet Platz sowohl für die Kohani wie auch für mich«, antwortete sie. Es war ein Friedensangebot, und Nizhoni betete, dass die anderen darauf eingehen würden.
    Der Häuptling überlegte kurz und nickte dann. »Prärie groß genug für meine Leute und weiße Frau!«
    Jetzt erst begriff Nizhoni, dass die anderen sie wegen ihrer Kleidung für eine amerikanische Siedlerin hielten. »Ich bin keine weiße Frau. Ich bin eine Frau vom Stamm der Diné und lebe bei weißen Leuten.«
    »Diné großer Stamm, aber sehr viel weit weg im Westen! Prärie groß genug für Kohani und Frau der Diné!«
    Nizhoni senkte die Waffe und nickte. »Die Prärie ist groß genug für uns alle!«
    Damit war der Frieden geschlossen. Die beiden anderen Männer blieben im Hintergrund, während die Frauen neugierig näher kamen und Nizhoni betrachteten. Als sie Josef entdeckten, lachten sie und strichen ihm über das dunkelblonde Haar. Doch auch der Säugling auf Nizhonis Rücken lenkte ihre Blicke auf sich.
    »Dein Kind?«, fragte eine der Frauen, die ein wenig Englisch konnte.
    Nizhoni schüttelte den Kopf. »Nein, es ist der Sohn meiner weißen Freundin, bei der ich seit etlichen Jahren lebe.«
    »Warum ist die Frau nicht hier? Das Kind braucht ihre Milch«, fragte die Indianerin mit dem Säugling verwundert in ihrer Sprache. Ihre Gefährtin übersetzte es in stockendem Englisch.
    »Die Mutter ist tot. Sie ist bei der Geburt ihres Kindes gestorben«, antwortete Nizhoni traurig.
    »Und wer gibt dem Kind Milch?«, fragte die Frau weiter.
    Nizhoni deutete auf die Ziege. »Die Ziege hat Milch!«
    Mit einem nachsichtigen Lächeln schälte die Indianerin den Jungen aus den Decken, mit denen Nizhoni ihn sich auf den Rücken gebunden hatte, entblößte ihre Brust und legte ihn an. Der Kleine saugte begeistert und gluckste zufrieden, als die Frau ihn auch noch neu wickelte.
    »Ich danke dir«, sagte Nizhoni erleichtert.
    Diese nickte zufrieden. »Das Kind ist noch sehr klein. Gib ihn mir. Ich nähre ihn und werde ihn annehmen wie einen Sohn!«
    Das Angebot kam aus ehrlichem Herzen, das spürte Nizhoni. Doch sie wusste auch, dass sie nicht darauf eingehen durfte. »Sein Vater ist ein großer Krieger. Er würde böse sein, wenn ich seinen Sohn weggäbe.«
    Das verstand die andere, und auch ihr Anführer schüttelte den Kopf. Kein Kind war es wert, sich dadurch die Feindschaft eines anderen Stammes oder eines weißen Mannes zuzuziehen.
    »Wir lagern hier. Du können essen mit uns«, bot er Nizhoni an.
    Sie blickte kurz zur Sonne hoch. Zwar hätte sie noch mehrere Meilen weiterreiten können, hoffte aber, bei den Kohani genug Vorräte eintauschen zu können, um den restlichen Weg nach Hause ohne die mühselige Suche nach Nahrung bewältigen zu können.
    »Ein kleines Stück zurück fließt ein Bach. Er wird uns und unseren Tieren Wasser geben«, erklärte sie und kehrte um.
    Die anderen folgten ihr. Die Worte des Friedens waren gesprochen, und selbst ein Angehöriger eines feindlichen Stammes hätte es nicht gewagt, sie zu brechen.

9.
    N izhoni blieb fünf Tage bei der Gruppe. Doch als die Kohani in eine Richtung zogen, die nicht die ihre war, war die Trennung unausweichlich. Sie verabschiedete sich von den Frauen und bedankte sich bei der jungen Mutter, die Giselas Sohn in den letzten Tagen stets einen Teil ihrer Milch gegönnt hatte. Der Junge wirkte gesünder als vorher, und sie hoffte, dass er nun besser gedeihen würde.
    Zuletzt trat sie zum Anführer und reichte ihm die ältere der beiden Flinten. »Ich danke dir und den Deinen, dass ich mehrere Tage an eurem Lagerfeuer sitzen und mit euch essen durfte. Nimm dafür diese Waffe als Geschenk.«
    Der Mann starrte zuerst sie an, dann die Flinte. Weiße Händler verkauften solche Waffen, doch den Preis, den sie verlangten, hatte er noch nie aufbringen können. Es kostete ihm daher seine ganze Beherrschung, nicht seine Freude zu zeigen.

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