Der weiße Stern: Roman (Knaur TB) (German Edition)
Doch als Nizhoni ihm auch noch die Hälfte ihres Schießpulvers und der Bleikugeln abtrat, leuchteten seine Augen zufrieden auf.
»Ich wünschen dir sicheren Pfad durch Prärie, Frau, die bei den Weißen lebt! Mögen die Söhne deiner Freundin tapfere Männer werden, die nicht vergessen, dass sie mit uns am Lagerfeuer gesessen sind.«
»Das werden sie«, versprach Nizhoni, setzte Josef auf die Stute und führte diese am Halfter westwärts. Als sie sich kurze Zeit später umdrehte, waren die Kohani nur noch Schatten am Horizont, die langsam in der Ferne entschwanden.
Ihr Ziel stand fest. Da sie genug Essen für mehrere Tage erhalten hatte, konnte sie von morgens bis abends dahinziehen und musste zwischendurch nur kurz innehalten, um Josefs kleinem Bruder etwas Ziegenmilch einzuflößen. Es dauerte eine Weile, bis der Kleine sich wieder daran gewöhnt hatte, dann aber trank er mehr als früher und schlief zwischen seinen Mahlzeiten zufrieden auf ihrem Rücken.
Nach einigen Tagen hörte sie in der Ferne Wasser rauschen und wurde unwillkürlich schneller. Es war der Rio Brazos, und weiter im Norden entdeckte sie die Reste einer niedergebrannten Farm. Sie musste einem der Siedler gehören, die sich in Austins Kolonie niedergelassen hatten.
Zuerst suchte Nizhoni nach einer Furt, um über den Fluss zu gelangen. An dieser Stelle wollte sie es nicht wagen, da der Rio Brazos wegen der Regenfälle der letzten Zeit viel mehr Wasser führte.
Trotzdem war sie zufrieden, denn sie hatte die Heimat beinahe erreicht. Bei dem Gedanken verspottete sie sich selbst. Ihre wirkliche Heimat lag viel weiter im Westen. Das hier war das Land, in das sie zuerst Po’ha-bet’chys Komantschen und dann Fahles Haar verschleppt hatten. Doch hier hatte sie auch Giselas Freundschaft und Zuneigung errungen. Ihr traten die Tränen in die Augen.
»Was ist mit dir?«, fragte Josef erstaunt.
»Nichts!« Nizhoni wischte sich die Tränen ab und versuchte zu lächeln. »Komm weiter, kleiner Puma. Bald sind wir zu Hause!«
»Backst du mir dann einen Pfannkuchen mit sehr viel Honig?«
Obwohl Nizhoni nicht wusste, was sie auf der Farm erwarten würde, nickte sie. »Das werde ich!«
Sie führte die Stute und die Ziege zu einem Bach, der in den Fluss mündete, damit die Tiere saufen konnten, und trank auch selbst von dem Wasser.
Josef sah ihr mit schräg gehaltenem Kopf zu. »Ich vermisse meine Mama!«
»Schließe deine Augen, und du wirst spüren, dass sie immer in deiner Nähe ist.« Erneut kämpfte Nizhoni gegen die Tränen an. Warum musstest du sterben, Gisela?, dachte sie verzweifelt, und ihr graute davor, vor Fahles Haar zu stehen und ihm den Tod seines Weibes verkünden zu müssen.
»Nimm dich zusammen!«, rief sie sich selbst zur Ordnung. »Die Welt ist nun einmal so, wie sie ist. Daran kannst du nichts ändern.«
Nachdem die Ziege getrunken hatte und an den Zweigen des Ufergebüschs knabberte, holte Nizhoni die Schüssel von ihrem Travois und molk das Tier, um die Milch dem Säugling einzuflößen. Zu ihrer Erleichterung trank der Kleine, ohne das meiste wieder auszuspucken, und sie konnten ihren Weg fortsetzen.
Um nicht zu weit nach Süden abzukommen, wählte sie die erste Stelle aus, an der der Rio Brazos etwas träger floss, und wagte dort den Übergang.
Das Travois musste sie zurücklassen. Sie wickelte die Flinte, ihre Pistolen und alles andere, was sie mitnehmen wollte, in ihre Lederdecke, band das Paket an der Stute fest und führte diese zum Wasser. Da die Ziege mit einer Leine am Pferd festgebunden war, folgte das Tier ihnen mit einem missmutigen Blöken. Am Ufer hob Nizhoni Josef aufs Pferd und sah ihn streng an.
»Du musst dich mit aller Kraft an der Mähne festhalten und darfst auch nicht loslassen, wenn du vom Rücken der Schecke herabrutschst! Hast du verstanden?«
Der Junge nickte. »Ja! Ich werde mich festhalten.«
Unterwegs hatten sie einige kleinere Wasserläufe überwunden. So wusste Josef, was von ihm erwartet wurde, und krallte die Finger in die Mähne der Stute. Trotzdem wand Nizhoni ihm noch ein Stück Seil um die Taille und befestigte es am Halfter.
»Was auch geschieht: Du musst den Kopf über Wasser halten!«, schärfte sie ihm ein und trieb die Stute in den Fluss. Zunächst hatte die Schecke noch Boden unter den Füßen. Im Gegensatz zu ihr musste die Ziege bald schwimmen. Das gefiel ihr gar nicht, doch die Stute zog sie einfach hinter sich her.
Nizhoni hielt sich an der Schecke fest und achtete dabei
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