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Der weiße Stern: Roman (Knaur TB) (German Edition)

Der weiße Stern: Roman (Knaur TB) (German Edition)

Titel: Der weiße Stern: Roman (Knaur TB) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Iny Lorentz
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der Hinweis, dass auch wir schlafen sollten!« Walther legte sich ebenfalls nieder, während Thierry und Poulain sich noch unterhielten. Nach einer Weile griff Thierry nach seiner Büchse und suchte sich einen Platz, von dem aus er das Lager und die Umgebung gleichermaßen im Auge behalten konnte.
    In der Nacht blieb alles ruhig. Wie besprochen übernahm Walther die letzte Wache. Bevor er die anderen am Morgen weckte, setzte er Kaffeewasser auf, damit es nicht zu lange dauerte, bis sie aufbrechen konnten, und sah dann dem letzten Stern zu, der am Himmel verblasste. Dieser wirkte in der Morgendämmerung weiß und erinnerte Walther daran, wie oft Gisela und er am Morgen vor ihrem Farmhaus gestanden und zu diesem Stern aufgeblickt hatten.
    Es dauerte einige Augenblicke, bis seine Gedanken sich wieder dem Jetzt zuwandten. Dann aber handelte er rasch und gezielt. Als Ersten weckte er Rudledge, damit dieser sich in der Umgebung des Lagers umsehen konnte, und danach kamen Ean und Tonino an die Reihe. Die beiden teilten sich die Aufgaben des Kochs und mussten aus Mehl und Wasser den Teig für die Pfannkuchen rühren. Der Rest der Männer hatte die Pferde zu tränken und dafür zu sorgen, dass diese vor dem Aufbruch noch ein wenig grasen konnten.
    Als die Pfannkuchen fertig waren, versammelten sich alle um das Lagerfeuer, tranken ihren Kaffee und aßen.
    Thierry seufzte tief. »Ein wenig Honig dazu wäre nicht schlecht!«
    »Du hättest ja etwas mitnehmen können«, giftete Ean O’Corra, der sich in seiner Ehre als Koch angegriffen fühlte.
    »Wir sind hier auf keinem Picknick, sondern suchen unsere Leute«, wies Walther beide zurecht.
    »Werden wir sie heute finden?«, fragte Albert Poulain voller Sorge.
    »Wenn wir Glück haben, ja, wenn nicht, finden wir sie morgen«, beschied ihm Walther.
    »… oder übermorgen«, setzte Rudledge hinzu, aber so leise, dass Poulain es nicht hören konnte. Die Prärie war weit, und selbst ein paar tausend Menschen konnten sich leicht darin verlieren. Dennoch war der Scout sicher, bald auf die Spur der Flüchtlinge zu stoßen.
    Als sie aufbrachen, setzte Rudledge sich wieder an die Spitze. Gegen Mittag erreichten sie einen der Karrenwege, auf denen viele der nordamerikanischen Siedler ins Land gekommen waren. Die tief eingeschnittenen Spuren von Wagenrädern und Abdrücke unzähliger Füße im getrockneten Schlamm bewiesen ihnen, dass sie die richtige Stelle erreicht hatten.
    »Hier sind eine Menge Leute nach Osten gezogen«, erklärte Rudledge. »Glaube aber nicht, dass es ihnen besonders gefallen hat. Es muss ziemlich geschüttet haben, als sie hier durchkamen.«
    Damit steigerte er die Sorgen der anderen. Walther lenkte seinen Hengst in die Richtung der Flüchtlinge und ließ ihn antraben. Sofort kam Rudledge an seine Seite.
    »Die Spur ist mindestens eine Woche alt. Selbst wenn wir dreimal so schnell vorankommen wie die anderen, werden wir ein paar Tage brauchen, bis wir sie eingeholt haben!«
    »Das weiß ich, aber ich brauche das Gefühl, mehr zu tun, als nur gemütlich hinterherzutraben – und nicht nur ich«, antwortete Walther und deutete mit einer Kopfbewegung auf ihre Begleiter, ohne sein Pferd zu zügeln.
    Rudledge gab es auf, sich darüber zu wundern. Irgendwie waren verheiratete Männer nicht mehr ganz bei Verstand, wenn es um ihre Familien ging, sagte er sich und war froh, ein freies Leben an der Grenze gewählt zu haben.

12.
    R udledge hatte zwar behauptet, kein Prophet zu sein, doch seine Vorhersage traf ein. Der Trupp brauchte vier Tage, um den Flüchtlingszug einzuholen. Es waren keine schönen Tage gewesen. Immer wieder hatten Walther und dessen Männer unterwegs Wagen gesehen, die unter der Belastung zusammengebrochen und zurückgelassen worden waren. Neben der Straße lagen viele Gegenstände, die die Flüchtlinge nicht mehr hatten tragen können. Am meisten aber erschreckten sie die Gräber, die ihren Weg säumten. Etliche Flüchtlinge mussten den Tod gefunden haben, und jeder von ihnen hoffte, dass es nicht die eigene Frau getroffen hatte.
    Der Anblick der Flüchtlinge schnitt Walther ins Herz. Die meisten waren ohne ausreichende Vorräte aufgebrochen und hungerten bereits seit Tagen. Viele waren krank und kaum mehr in der Lage, sich vorwärtszuschleppen. Selbst die wenigen Zugtiere, die es noch gab, wirkten struppig und mager. Einige Pferde und Maulesel hatten die Strapazen nicht überstanden, und ihr Fleisch bildete derzeit die einzige Nahrung für die

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