Der weiße Stern: Roman (Knaur TB) (German Edition)
Flüchtlinge. Doch es war viel zu wenig, um alle satt zu bekommen.
»Das sieht übel aus«, meinte Thierry erschüttert.
Walther nickte. »So ist der Krieg. Ich habe ihn in meiner Heimat erlebt!«
»Mein Vater war bei Napoleons Grenadieren. Wie leicht hättet ihr aufeinandertreffen und einer den anderen töten können!« Thierry schüttelte sich, streifte die Schatten der Vergangenheit ab und ließ seinen Blick über den Flüchtlingszug schweifen.
Ein Reiter kam auf sie zu. Zuerst hielt er seine Büchse schussbereit, doch als er Rudledge erkannte, atmete er auf. »Du bist es, alter Waschbär. Kannst du uns sagen, was los ist? Wir haben seit Tagen nichts mehr gehört.«
Auf Rudledges wettergegerbtem Gesicht erschien ein breites Grinsen. »Wenn das mal nicht Silas Parker ist! Hätte nicht von dir gedacht, dass du dich bei den Weibern herumtreibst, obwohl es wichtigere Arbeit gegeben hätte. So aber mussten wir ohne dich Santa Ana den Hosenboden strammziehen.«
»Wir haben gewonnen!«, rief der Ranger erfreut aus.
»Was heißt wir? Du warst ja nicht dabei! Aber wir haben gewonnen, und zwar am San Jacinto River. Ihr hättet daher gar nicht so weit davonlaufen müssen«, gab Rudledge feixend zurück.
»Jetzt hör endlich auf zu sticheln! Glaubst du, es ist schön, einige hundert hungrige Weiber und Kinder am Hals zu haben, und Männer, die diesen das bisschen Brot vom Mund reißen, nur weil sie stärker sind? Ich musste einen von den Kerlen niederschießen. War aber kein Texaner, sondern ein Wicht aus Mississippi. Ein paar andere habe ich in die Prärie gejagt. Sollen dort sehen, was sie zu essen finden, und den Kindern das wenige lassen, was wir noch haben.« Silas Parker spie zur Bekräftigung seiner Worte aus und reichte dann Rudledge die Hand.
»Es freut mich, dich zu sehen und zu hören, dass die Unsrigen gewonnen haben. Ich wäre gerne dabei gewesen, aber meine Männer und ich haben den Befehl bekommen, die Flüchtlinge zu eskortieren.«
»Schon gut!«, antwortete Rudledge. »Auf jeden Fall haben wir euch gefunden. Wer will, kann nach San Felipe, Washington-on-the-Brazos und die umliegenden Farmen zurückkehren. Bei Gonzales, Goliad und San Antonio sollten die Leute jedoch noch warten, bis sich Cos und Urrea mit ihren Truppen über den Rio Grande zurückziehen.«
»Das hilft wenigstens etwas! Allerdings wird es hart werden. Es gibt auch dort nicht viel zu essen«, wandte Parker ein.
»Es laufen genug Rinder und Schweine herum. Sollen die Leute ein paar davon schlachten. Außerdem können sie die Saat auf den Feldern ausbringen und Wild schießen. Ein richtiger Texaner verhungert schon nicht!«
Walther dauerte das Gespräch zwischen dem Scout und dem Ranger zu lange. Daher lenkte er sein Pferd zu den beiden und sprach Parker an. »Wir sind auf der Suche nach unseren Familien. Können Sie uns sagen, wo wir sie finden können?«
»Wer ist der Mann?«, fragte Parker Rudledge.
»Colonel Fitchner, der mit mir zusammen am San Jacinto River gekämpft hat. Wir haben Santa Ana höchstpersönlich erwischt, als der ausrücken wollte. Deshalb hat Houston uns auch erlaubt, euch zu suchen.«
Rudledge genoss die Verblüffung des Mannes. Auch wenn Parker Walther nicht persönlich kannte, so hatte die Geschichte die Runde gemacht, wie Jim Bowie ein Wettschießen gegen Fitchner verloren hatte.
»Sie werden sich in unserem Lager nach Ihren Leuten umsehen müssen, Colonel. Es sind einfach zu viele Menschen hier, als dass wir von jedem wissen könnten, wo er hingehört.« Parker bedauerte es, keine bessere Auskunft geben zu können. Doch es war für ihn und seine Kameraden wichtiger gewesen, Wild zu schießen, damit wenigstens die Frauen und Kinder etwas zu essen hatten, als sich mit diesen zu unterhalten.
»Meine Frau heißt Rachel«, meldete sich nun Thierry.
»Hier gibt es mindestens ein Dutzend oder mehr Frauen, die Rachel heißen«, antwortete der Ranger. »Reiten Sie durch das Lager und schauen Sie sich um. Mehr kann ich Ihnen nicht raten!«
»Danke!«, rief Walther, trieb sein Pferd an und ritt suchend zwischen den lagernden Menschen hindurch.
So einfach wie erhofft war es nicht, die Frauen und Kinder zu finden. Immer wieder kamen Männer zu ihnen und fragten nach Freunden, die sich Houstons Armee angeschlossen hatten. Kaum einer konnte begreifen, dass die eigenen Soldaten den Feind mit einem Minimum an Verlusten hatten niederkämpfen können. Doch allein die Nachricht vom Sieg verlieh den meisten neuen Mut,
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