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Der weite Himmel: Roman (German Edition)

Der weite Himmel: Roman (German Edition)

Titel: Der weite Himmel: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nora Roberts
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fünfundzwanzigtausend Morgen umfassende Ranch zu leiten.
    Auch Willa dachte an die Ranch und an die Arbeit, die vor ihr lag. Es war ein herrlicher klarer Morgen, und die Natur prunkte mit leuchtenden Farben, deren Intensität für die Augen fast schmerzhaft war. Die Berge und das Tal mochten zwar schon ihr Herbstgewand angelegt haben, doch der heiße, trockene Chinookwind war noch einmal zurückgekehrt. An diesem Tag Anfang Oktober war es warm genug, um in Hemdsärmeln herumzulaufen, doch das konnte sich morgen schon ändern. In den höheren Lagen hatte es bereits geschneit, Willa konnte die mit Schnee bedeckten Gipfel und Wälder sehen. Das Vieh mußte zusammengetrieben, die Zäune überprüft, repariert und wieder überprüft werden. Auch die Wintersaat war fällig.
    Das war nun ihre Aufgabe. Alles lag in ihren Händen. Jack Mercy war nicht länger Herr über die Mercy Ranch, sondern sie.
    Sie hörte zu, als der Priester von immerwährendem Leben, Vergebung aller Sünden und Aufnahme in die himmlischen Gefilde sprach, und dachte, daß sich ihr Vater einen Dreck um seine mögliche Einkehr in den Himmel geschert hätte. Zeit seines Lebens hatte er sich nur in seinem eigenen Heim wohl gefühlt. Montana war seine Heimat gewesen, dieses weite Land der Berge und der Weiden, der Adler und der Wölfe.
    Ihr Vater wäre im Himmel genauso unglücklich wie in der Hölle.
    Willas Gesicht zeigte keine Regung, als der protzige Sarg in die frisch ausgehobene Grube herabgelassen wurde. Sie hatte eine zart goldfarbene Haut, die sie zum einen der Sonne, zum anderen dem indianischen Blut, Erbteil ihrer Mutter, verdankte. Ihre Augen, fast ebenso schwarz wie ihr Haar, das sie für das Begräbnis hastig zu einem unordentlichen Zopf geflochten hatte, waren unverwandt auf die letzte Ruhestätte ihres Vaters gerichtet. Sie trug keinen Hut, so daß die Sonne ihre Augen aufleuchten ließ. Doch sie vergoß keine Träne.
    Willa hatte stolze Gesichtszüge, hohe Wangenknochen, einen breiten, ein wenig hochmütigen Mund und dunkle, exotische Augen mit schweren Lidern und dichten Wimpern. Im Alter von acht Jahren war sie von einem bockenden Mustang gestürzt und hatte sich dabei die Nase gebrochen, die seither leicht nach links zeigte. Willa tröstete sich damit, daß die kleine Entstellung ihrem Gesicht Charakter verlieh. Charakter bedeutete Willa Mercy sehr viel mehr als bloße Schönheit. Männer respektierten schöne Frauen nicht, soviel wußte sie. Sie benutzten sie nur.
    Regungslos stand sie da, während sich einzelne Strähnen aus ihrem Zopf lösten und im Wind tanzten; eine Frau von durchschnittlicher Größe, schlank und geschmeidig gebaut, in einem schlechtsitzenden schwarzen Kleid und hochhackigen schwarzen Schuhen, die bis zu diesem Morgen ihren Karton noch nie verlassen hatten. Eine Frau von vierundzwanzig Jahren, deren Gedanken um ihre Arbeit kreisten und die einen brennenden Schmerz mit sich herumtrug.
    Sie hatte Jack Mercy trotz all seiner Fehler geliebt. Und sie hatte kein einziges Wort für die beiden fremden Frauen gefunden, in deren Adern dasselbe Blut floß und die gekommen waren, um ihrem Vater das letzte Geleit zu geben.
    Flüchtig wanderte ihr Blick zum Grab von Mary Wolfchild Mercy und verharrte dort einen Augenblick. Die Mutter, an die sie sich nicht mehr erinnern konnte, lag unter einem sanften, mit Wildblumen bepflanzten Hügel begraben.
Die Blüten schimmerten im Licht der Herbstsonne wie bunte Edelsteine. Adams Werk, dachte sie, hob den Blick und sah ihrem Halbbruder in die Augen. Er wußte besser als jeder andere, daß sie den Tränen, die tief in ihr aufstiegen, niemals freien Lauf lassen konnte.
    Als Adam ihre Hand ergriff, schlossen sich ihre Finger um die seinen. Er war jetzt alles an Familie, was ihr noch blieb.
    »Er hat sein Leben in vollen Zügen genossen«, murmelte Adam. Seine Stimme klang weich und beruhigend. Wären sie allein gewesen, hätte Willa sich zu ihm umdrehen, ihren Kopf an seiner Schulter bergen und dort Trost finden können.
    »Ja, das hat er. Und nun ist es vorüber.«
    Adam schaute zu den beiden Frauen, Jack Mercys anderen beiden Töchtern, hinüber und dachte, daß etwas anderes gerade erst begann. »Du mußt mit ihnen sprechen, Willa.«
    »Sie schlafen unter meinem Dach, essen an meinem Tisch.« Absichtlich blickte Willa wieder auf das Grab ihres Vaters. »Das ist genug.«
    »Sie sind deine Blutsverwandten.«
    »Nein, Adam, du bist mein Blutsverwandter. Sie bedeuten mir nichts.« Willa

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