Der weite Himmel: Roman (German Edition)
immer in die Hüften gestemmt, baute sie sich vor Willa auf und blickte auf sie hinunter. »Du machst jetzt, daß du nach unten kommst, und kümmerst dich um deine Gäste!«
»Ich habe eine Ranch zu leiten.« Willa erhob sich. Daß sie in ihren Stiefeln Bess um Haupteslänge überragte, nützte ihr nichts. Die Machtkämpfe zwischen ihnen endeten meistens mit einem Unentschieden. »Und es sind nicht meine Gäste. Ich wollte sie nicht hier haben.«
»Sie sind gekommen, um deinem Vater die letzte Ehre zu erweisen, so wie es sich gehört.«
»Sie sind gekommen, um im Haus herumzuschnüffeln und alles zu begaffen. Es wird Zeit, daß sie wieder verschwinden.«
»Einige vielleicht.« Bess nickte leicht. »Aber die meisten sind deinetwegen hier.«
»Ich will sie nicht im Haus haben.« Willa wandte sich ab, griff nach ihrem Hut und blieb am Fenster stehen, die Krempe nervös zwischen den Fingern knetend. Ihr Schlafzimmerfenster ging auf den Wald und die Gipfel des Big Belt hinaus, eine Aussicht, die für sie alle Schönheit und alle Geheimnisse der Welt barg. »Ich brauche sie nicht. Ich kann nicht atmen, wenn all diese Menschen um mich herum sind.«
Bess zögerte kurz, ehe sie Willa die Hand auf die Schulter legte. Jack Mercy hatte nicht gewollt, daß seine Tochter verweichlicht wurde. Er hatte strenge Anweisung gegeben, sie nicht zu verwöhnen, zu verhätscheln oder zu verzärteln. Diese Erziehungsmethoden hatte er schon festgelegt, als Willa noch ein Baby gewesen war, und auch Bess hatte dieses eiserne
Gebot nur dann übertreten, wenn sie ganz sicher war, nicht ertappt und wie eine von Jacks Ehefrauen fortgeschickt zu werden.
»Schätzchen, es ist dein gutes Recht, um ihn zu trauern.«
»Er ist tot und begraben, daran ändert sich nichts mehr, und wenn es mir noch so leid tut.« Doch Willa berührte die Hand, die auf ihrer Schulter lag. »Er hat mir noch nicht einmal gesagt, daß er krank ist. Er konnte mir noch nicht einmal diese letzten Wochen gönnen, in denen ich mich um ihn hätte kümmern können. Ich hätte so gerne noch Zeit gehabt, um von ihm Abschied zu nehmen.«
»Dein Vater war ein stolzer Mann«, sagte Bess, doch insgeheim dachte sie: Ein Scheißkerl war er, ein egoistischer, rücksichtsloser Scheißkerl. »Es ist besser, daß der Krebs ihn schnell dahingerafft hat, so mußte er wenigstens nicht lange leiden. Das wäre ihm unerträglich gewesen und hätte es dir nur noch schwerer gemacht.«
»Wie dem auch sei, es ist vorüber.« Willa glättete die breite Krempe ihres Hutes und stülpte ihn sich auf den Kopf. »Und nun hängen Tiere und Menschen von mir ab. Die Leute müssen jetzt sofort begreifen, wer in Zukunft das Sagen hat. Die Mercy Ranch wird immer noch von einer Mercy geleitet.«
»Dann tu, was du tun mußt.« Jahrelange Erfahrung hatte Bess gelehrt, daß sämtliche Regeln des Anstandes hinfällig wurden, sobald es um die Belange der Ranch ging. »Aber zum Essen bist du wieder da. Du wirst dich umziehen und dich bei Tisch ordentlich benehmen.«
»Sorg dafür, daß diese Leute mein Haus verlassen, dann sehen wir weiter.«
Sie verließ das Zimmer und lief nach links zur Hintertreppe, die zum Ostflügel des Hauses gehörte. So war es ihr möglich, unauffällig in den Abstellraum zu schlüpfen. Selbst hier noch drang das Summen der durcheinanderschwatzenden Stimmen und gelegentliches dröhnendes Gelächter an ihr Ohr. Angewidert knallte sie die Tür hinter sich zu und blieb wie angewurzelt stehen, als sie die beiden Männer sah, die auf der Seitenveranda in kameradschaftlichem Schweigen eine Zigarette rauchten.
Ihr Blick heftete sich auf den Älteren der beiden, der eine Flasche Bier in der Hand hielt. »Na, amüsierst du dich, Ham?«
Willas Sarkasmus ließ Hamilton Dawson kalt. Er hatte sie auf ihr erstes Pony gesetzt, ihr nach dem ersten Sturz den Kopf verbunden. Er hatte ihr beigebracht, wie man ein Lasso und eine Flinte gebraucht und wie man Wild aus seiner Dekke schlägt. Nun schob er ungerührt seine Zigarette zwischen die Lippen, die ein graugesprenkelter Bart schmückte, und blies einen Rauchring in die Luft.
»Es ist …«, ein zweiter Ring folgte, »… ein schöner Nachmittag.«
»Ich möchte, daß die Zäune entlang der nordwestlichen Grenzlinie überprüft werden.«
»Schon passiert«, erwiderte er gemütlich und lehnte sich an das Geländer; ein kleiner, untersetzter Mann mit Beinen so krumm wie ein Flitzebogen. Als Vorarbeiter der Ranch wußte er ebensogut wie Willa, was
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