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Der weite Weg nach Hause

Der weite Weg nach Hause

Titel: Der weite Weg nach Hause Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rose Tremain
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Hatte mal drei Männer, die hier für mich gearbeitet haben. Jetzt gibt es nur noch mich und die Erntehelfer und den Hund.«
    »People ...
    People who need people
    Are the luckiest people in the world ...«
    Barbra sang weiter. Lev entspannte sich in seinem Stuhl.
    »Ich weiß, dass die Wohnwagen nicht der letzte Schrei sind«, sagte Midge nach einer Weile. »Kommt daher, weil ich dafür keine Miete verlange. Ich hätte sie dieses Jahr in Ordnung gebracht, aber mit Bargeld sieht es mau aus. Musste 2004 einen Haufen Kohle abdrücken, um Donna von der Hacke zu kriegen. Und Mann, seitdem wackelt’s ziemlich.«
    »Der Wagen ist okay«, sagte Lev. »Nur ...«
    »Fenster schließen nicht richtig. Ich weiß. Kommt Wasser rein, wenn es regnet?«
    »Nein«, sagte Lev. »Nur mein Bett, Midge. Ich habe schon versucht, dir früher zu sagen. Kratzt meine Haut. Vielleicht kannst du etwas Weiches finden, das unter mein Laken kommt.«
    Midge starrte Lev alarmiert an, als hätte er ein Darlehen verlangt oder einen Anteil an seinen Einnahmen aus dem Nobelfräulein.
    »Gut«, sagte er. »Aber ich weiß nicht, was. Ich schau mal im Wäscheschrank nach. Donna hätte was gewusst, aber darin sind alle Frauen gut, wenn du mich fragst − im Scheißnestbau.«
    Als Lev zum Wohnwagen zurückkam, leicht schwankend vom Wodka und im Kopf nur noch den Wunsch nach Schlaf, räumten die Mings gerade ihre Mah-Jongg-Steine vom Resopaltisch. Sie sahen ihn besorgt an.
    »Rev, dein Handy kringelt, kringelt ...«
    »Ja, kringeln fünf, sechs Male.«
    Lev blickte sich im Wagen um. Er wusste, dass es spät war − in Auror sogar noch später. Angst krampfte sein Herz zusammen. Er fand sein Handy und starrte auf das Display. Vier unbeantworteteAnrufe. Jedes Mal Rudis Nummer » Ruf mich an «, kam von der Mailbox. Rudis Stimme dünn und erstickt.
    Lev nahm das Handy und trat wieder in die Nacht hinaus. Zwischen jagenden Wolken tauchte ein leuchtender Mond auf und verschwand wieder. Die Wäsche auf der Leine flatterte im Wind. Lev machte zwei tiefe Atemzüge, um den Wodkamief loszuwerden. Wählte die Nummer.
    Lora nahm ab. »Ach, Lev«, sagte sie. »Solch ein Unglück für unser Dorf. Ich kann es dir nicht sagen. Ich hole Rudi ...«
    Jetzt war Rudi dran. »Wo warst du?«, sagte er frostig. »Ich hab dich die ganze verdammte Nacht lang anzurufen versucht.«
    »Nirgendwo, Rudi. Hab ein bisschen was getrunken ...«
    »Okay, na, jetzt wirst du was zu trinken brauchen. Wir haben schlechte Neuigkeiten, Lev, unglaubliche Neuigkeiten.«
    »Sag schon.«
    »Das schaffe ich kaum.«
    »Doch, los, Rudi.«
    Schweigen. Atemholen. Dann Rudis Stimme, sehr leise: »Nichts Gutes, mein Freund. Sie machen beim Baryner Staudamm weiter.«
    Ein kurzer Moment der Erleichterung. Erleichterung, weil es nicht um Maya ging oder um Ina. Aber zuerst musste er sich vergewissern , dass mit ihnen alles in Ordnung war, bevor er sich auf die Staudammnachricht konzentrieren konnte. »Sag mir erst mal kurz: Geht es Maya und Ina gut, Rudi?«
    »Noch. Aber wenn sie das hören ... wenn die Menschen in Auror morgen früh aufwachen und das hören ... dann geht es ihnen nicht mehr gut.«
    Seine Tochter war sicher. Seine Mutter war sicher. Rudi und Lora waren sicher. Aber jetzt kam etwas Schreckliches auf sie zu. Lev verfluchte Midge dafür, dass er ihn mit Wodka traktiert hatte, atmete weiter die süße Nachtluft tief ein, um klar im Kopf zu werden ... »So, jetzt erzähl es mir, Rudi. Das mit dem Damm.«
    »Ach, Scheiße ...« Rudi stieß einen langen, gequälten Seufzer aus, sagte dann: »Tja, genau wie du vorausgesagt hast, die Landvermesser sind gekommen. Haben Lora gegenüber behauptet, sie würden das Trinkwasser prüfen. Aber wir haben sie im Auge behalten. Hin und her, hin und her flussaufwärts sind sie mit ihren blöden Theodoliten − oder wie diese Scheißdinger heißen. Ich sag zu Lora: ›Seit wann braucht man bunte Stöcke und teure Linsen, um Trinkwasser zu prüfen?‹
    Dann, heute Abend, als es schon dunkel ist, komm ich mit dem Tschewi von Baryn, und ich sehe Schatten. Ich seh diese Geister , die ums Dorf schleichen und Plakate an Mauern kleben. Allmächtiger! Was ist das für eine Art! Zettel ankleben. Keine Dorfversammlung. Keine Vorabinformation. Nur diese Mistkerle, diese Feiglinge , die einem Papier hinknallen!
    Sie dachten, alle sind im Bett und keiner würde sie sehen, aber ich war nicht im Bett. Meine Scheinwerfer haben sie erwischt, wie Scheißkaninchen. Ich hab angehalten.

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