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Der weite Weg nach Hause

Der weite Weg nach Hause

Titel: Der weite Weg nach Hause Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rose Tremain
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gefragt: »Warum geht das Licht immer aus, Papa?«, aber Lev wusste nicht mehr, was er geantwortet hatte. Irgendetwas darüber, dass es zu wenig Licht für alle gab? Etwas über die Notwendigkeit zu teilen? Wer weiß? Woran er sich allerdings erinnerte, war, dass er eines Nachts, als die vertraute, verrauchte Dunkelheit über Rudis Haus hereingebrochen war, betrunken verkündet hatte: »Die stellen den Strom extra ab. Es ist genug Saft da. Es macht ihnen einfach Spaß, uns die Abende zu verderben.«
    Rudis Frau Lora war im Nachthemd in das Zimmer gekommen, wo sie tranken. Sie trug einen brennenden Kerzenstummel auf einer gesprungenen Untertasse und stellte ihn zwischen die leeren Wodkaflaschen und ging wieder ohne ein Wort, und Rudi sagte: »Lora ist eine sehr nette Frau. Eines Tages wird sie einen guten Ehemann finden.« Und dann saßen sie da und lachten, die flackernde Kerze zwischen sich, lachten, bis ihnen der Bauch wehtat, lachten ein betrunkenes, grundloses, stilles Lachen, das sich anfühlte, als könnte es nie aufhören.
    Lev schloss die Augen wieder. Das Licht hinter seinen Lidern hatte die Farbe von Schokolade, und er wusste, dass der Schlaf genauso sein würde, samten und dunkel, und dass er bis zum Morgen dauern würde.

3
»Ein Mann mag weit reisen,
aber sein Herz hält nicht Schritt«
    Hallo Mama, hallo Maya. Hier ist die Prinzessin-Diana-Karte für Euch. Mir geht es gut. Es ist ziemlich heiß.
Heute suche ich mir eine Arbeit.
    XXX Lev/Papa.
    Lev saß in Sulimas gepflegtem Speisesaal, trank Tee und schrieb seine Karte. Er war allein. Der Tee war beruhigend und stark, und ihm fiel ein, wie Rudi, der als junger Mann zwei Monate im Gefängnis gesessen hatte, ihm einmal erzählte, Tee sei in der Yarbler Justizvollzugsanstalt das Hauptzahlungsmittel der Insassen gewesen, und er dachte, dass es in ihrer Jugend − seiner und Rudis − auf der Welt noch kleine Inseln der Unschuld gegeben hatte, wie Luftblasen in einem sinkenden Schiff. Vor dem offenen Fenster wehten Netzgardinen im warmen Wind. Über ihm an der Wand, neben einem sehr bunten Bild von einem Tiger, rückten die Zeiger einer Wanduhr stumm voran. Es war soeben 10 Uhr 35 geworden.
    Lev hatte geduscht und sich die Haare gewaschen. Sein Körper fühlte sich sauber, aber schwer an, als wäre er äußerlich jung, hätte aber nur die Kraft eines alten Mannes. Er stellte sich diesen alten Mann vor, wie er die heißen Londoner Straßen entlanglief, seine schwere Tasche schleppte und versuchte, Fremde anzusprechen und den Eindruck zu erwecken, er sei willig und stark und zu jeder Art Arbeit bereit, ein Mensch mit vielen Fähigkeiten ...
    Sulima tauchte in dem Gipsbogen auf, der in ihren Flur führte. »Möchten Sie noch Tee?«, fragte sie freundlich.
    Heute trug Sulima einen Sari in der Farbe von Opalen, derFarbe des graugrünen Flusses. Zwischen dem Sari-Oberteil und dem Rock schaute weich und golden ein Stück Bauch hervor. Sie stand da und blickte auf Lev und seine Diana-Karte, und dann setzte sie sich ihm gegenüber und sagte: »Ich versuche, Menschen, die aus dem Ausland kommen, zu helfen. Mir hat man auch geholfen, als ich hier ankam. Ich erhielt eine Stelle als Zimmermädchen in einem Hotel, das The Avenues hieß. Sehr harte Arbeit. Immerzu putzen. Und alles ganz exakt: auf der Gardinenblende Staub wischen, unterstes Blatt von der Toilettenpapierrolle falten. Verstehen Sie?«
    Lev hatte keine Ahnung, was eine Gardinenblende war und wieso Toilettenpapier gefaltet werden musste, aber er nickte trotzdem. Sulima schob sein Frühstückstablett beiseite. Die Wurst war halb gegessen, aber Ei und Speck hatte er nicht angerührt. Lev holte seine Zigaretten heraus, nahm die letzte aus dem Päckchen und steckte sie an. Sulima reichte ihm einen gläsernen Aschenbecher.
    »Sie haben Frau und Familie?«, fragte sie.
    Lev nahm einen Zug von der Zigarette und wandte den Kopf ab, während er den Rauch ausstieß. »Meine Frau ist gestorben«, sagte er.
    Sulima hielt sich eine Hand vor den Mund, und Lev erkannte in dieser Geste die Reaktion einer viel jüngeren Frau, fast die eines Kindes, das dazu erzogen ist, jedes Mal Reue zu zeigen, wenn es etwas Unpassendes oder Falsches gesagt hat. Um ihr aus ihrer Verlegenheit zu helfen, zeigte er auf das Tigerbild und sagte: »Meine Tochter Maya. Alter von fünf Jahren. Liebt Tiere.«
    »Ja?«, sagte Sulima.
    »Ja. Sagt zu mir manchmal: Papa, dieses Schwein ist traurig, diese Gans ist müde .«
    »Ja? Wirklich?«
    »Dieser

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