Der weite Weg nach Hause
lächeln und die Arme auszubreiten. Dann begann Maya, ekstatisch zu schreien: »Papa! Papa! PAPA! PAPA!« Und sie schoss auf ihn zu, und er hob sie hoch und wirbelte sie herum, küsste ihr Gesicht, ihren Kopf in der gestrickten Pudelmütze, drückte sie fest, fest an sein Herz und sagte, er sei zu Hause, für immer zu Hause, und nun werde alles gut.
Ina betrachtete ihn aus einiger Entfernung, zog ihr Tuch fester um sich, hielt es mit beiden Armen zusammen, um Distanz zu wahren, ihre Skepsis und ihren Zorn wach zu halten. Lev sah, dass ihr Gesicht älter und ihre Augen kleiner wirkten. Er sah auch, dass sie zitterte.
»Du hast zugenommen«, sagte sie.
Rudi und Lev fuhren nach Baryn und hielten vor dem Hotel Kreis. Lev hatte einen Besuch von drei Tagen geplant. »Tagsüber sehen wir uns nach Lokalitäten um«, sagte er. »Mittags und abends klappern wir die Restaurants ab und gucken, was sie mit dem Essen anstellen.«
Auf der Straße nach Baryn war Rudi wie jemand gefahren, der zu einem ersehnten Rendezvous eilt. Er drehte das Radio laut auf, redete in den Lärm hinein, erklärte Lev, außer dass er das Aushängeschild des Lokals sein werde, könne er auch »die Lieferanten auf Trab bringen«, den Kofferraum vom Tschewi mit Kisten voller Perlhühner und Kartons voller Kopfsalat beladen.
»Die werden noch Angst kriegen, wenn sie dieses Auto sehen!«, sagte er. »Wenn sie ihre Scheißtomaten und so weiter nicht rechtzeitig fertig haben, werden sie sich wünschen, sie wären in den Salzbergwerken verreckt.«
Lev schlug vor, sie sollten einen gebrauchten Lieferwagen kaufen, um die größeren Sachen zu transportieren, aber Rudi sagte: »Ich fahr keinen lausigen Lieferwagen. Nicht, solange der Tschewi noch am Leben ist.«
»Okay«, sagte Lev. »Dann fahr ich ihn.«
»Du kannst doch gar nicht fahren«, sagte Rudi.
»Ich werde es lernen«, sagte Lev. »Genauso wie du.«
Am ersten Abend beschlossen sie, im Café Boris zu essen, einem Familienrestaurant am Marktplatz.
Als sie dort ankamen, stellten sie fest, dass das Café Boris jetzt Brasserie Baryn hieß, und Rudi sagte: »Ui-jui. Das gefällt mir gar nicht, Lev. Hat etwa ein Schlaumeier-Arsch von Koch schon die Stadt übernommen?«
Sie gingen hinein. Innen hatten die Wände einen neuen blauen Anstrich erhalten. Ein blaues Neonschild pries deutsches Bier an. In den vier Ecken des quadratischen Raums standen glänzende Topfpalmen. Aber der Geruch aus der Küche kam Lev sofort bekannt vor, der Geruch nach Rote-Bete-Suppe, namenlosen Eintöpfen, Seegrasravioli. »Ich finde, wir sind hier richtig«, sagte er zu Rudi. »Ein Hauch von kommunistischem Essen weht mich an. Ich kann schon im Voraus sagen, wie die Speisekarte aussieht.«
Das Lokal war fast leer. Sie bestellten zwei Bier bei einem Maître mittleren Alters, der so erschöpft von seinem Beruf war, so erschöpft vom Leben, dass er die Wege nur mithilfe der Stuhllehnen zurücklegen konnte, an denen er sich festhielt, als würde das Gebäude schwanken wie ein Zug. Sein Hosenboden glänzte, seine Schuhe trugen eine Staubschicht.
»Phantastisch«, sagte Rudi. »Was für eine Werbung, dieser Mann! Was für ein ›Aushängeschild‹!«
Wie kleine Jungen begannen sie zu kichern. Konnten überhaupt nicht mehr aufhören. Und genau so, gekrümmt vor Lachen, fand Eva sie dann auch vor.
Sie ging wie eine Tänzerin, das Bier auf einem Holztablett. Sie trug ein schwarzes Kleid und eine weiße Schürze, an der ein Namensschild befestigt war. Ihr dunkles Haar hatte sie hinten mit einem Samtband zusammengebunden. Sie stellte ihnen die Gläser hin, und ihre Hände waren weiß und schlank.
Lev und Rudi blickten hoch, und sie lächelte, während sie zusah, wie die Männer sich von ihrem Lachanfall zu erholen versuchten. Und beide hatten denselben Gedanken: Sie erinnerte sie an Marina.
Sie ging weg und kam mit fettigen laminierten Speisekarten zurück. Ihre Anwesenheit am Tisch lud die Luft auf. Rudi und Lev nahmen die Karten schweigend entgegen. Eva zog einen Zettel aus ihrer Schürzentasche und sagte: »Möchten Sie hören, was wir heute Abend speziell empfehlen?«
»Ja«, sagte Lev. »Gerne.«
»Also«, sagte Eva, »leider haben wir heute nur zwei spezielle Angebote. Einmal Kaninchen mit Wacholderbeeren und dann kaltes Rehfleisch mit gekochtem Ei. Hartgekochtem Ei, würde ich sagen.«
»Vielen Dank«, sagte Lev. Dann fügte er rasch hinzu: »Könnten Sie uns die Weinkarte bringen, während wir ein Gericht
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