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Der weite Weg nach Hause

Der weite Weg nach Hause

Titel: Der weite Weg nach Hause Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rose Tremain
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aussuchen?«
    »Gerne.«
    »Ach, und sagen Sie uns doch bitte, was Sie empfehlen würden. Das Kaninchen vielleicht?«
    Sie errötete, als sie spürte, wie die beiden Männer ihr Gesicht musterten und dann − sie konnten einfach nicht widerstehen − ganz kurz auch ihren schlanken Körper in der Kellnerinnenuniform.
    »Ich glaube, das Kaninchen ist nett«, sagte sie.
    Sie ging weg, und Lev und Rudi machten sich an ihr deutsches Bier. Eine Weile sagten sie gar nichts. Mit dem Lachen war es vorbei. Sie studierten die Plastikspeisekarte, sahen sich den fast leeren Raum genauer an, die paar Gäste, den Maître,der jetzt regungslos am Tresen stand. Das blinkende Neonschild ließ sein Gesicht regelmäßig in einem gespenstischen Blau aufleuchten.
    Rudi sagte: »Erinnerst du dich noch an den Esselsee?«
    »Klar«, sagte Lev. »Natürlich erinnere ich mich an den Esselsee. Wahrscheinlich sind wir die ganze Zeit ein bisschen gestorben.«
    »Wir sind tatsächlich die ganze Zeit ein bisschen gestorben«, sagte Rudi. »Genau das ist mein Eindruck. Aber jetzt sind wir dabei, wieder gesund zu werden.«
    Eva kam mit der Weinkarte zurück, und Lev warf einen Blick darauf. Er sah, dass die Hälfte der aufgeführten Weine durchgestrichen war. »Was ist mit denen passiert?«, fragte er.
    Wieder errötete sie. »Das weiß ich nicht genau«, sagte sie. »Vielleicht sind die französischen Weine ausgetrocknet. Entschuldigung, ich meine nicht wörtlich ausgetrocknet, sondern sie haben es nicht mehr ganz bis hierher geschafft.«
    Lev nickte. Aus den Augenwinkeln sah er, dass Rudi lächelte. Plötzlich drehte er sich um und sagte zu Eva: »Haben Sie von dem Staudamm bei Auror gehört?«
    »Der Staudamm bei Auror? Ja. Jeder weiß davon. Vermutlich sind Sie nicht von hier. Es heißt, der Auror-Staudamm wird unser Leben verändern.«
    »Glauben Sie das?«
    »Ich hoffe es.« Sie ließ den Blick durch die leere Brasserie wandern. »Ich hoffe, er bringt mehr Menschen, mehr Wohlstand. Mit der Zeit ...«
    Sie stand sehr dicht bei Lev, ihre Hüften berührten fast seine Schulter. Ein herrlicher Duft umwehte sie − etwas Strenges, aber Verführerisches.
    Eigentlich hatten sie während des Essens ihre Vorgehensweise für die nächsten Tage besprechen wollen. Es gab drei Häuser zu besichtigen − alles ehemalige Geschäfte, die dichtgemacht hatten.Sie hatten einen Stadtplan mitgebracht, damit Rudi die Route festlegen konnte. Aber irgendwie waren sie in Schweigen verfallen. Keiner der beiden brachte es fertig, Marinas Namen zu sagen, Evas Ähnlichkeit mit ihr zu erwähnen, aber ohne dass sie es aussprechen mussten, waren sie beide ganz sicher, dass etwas Verstörendes geschehen war, so als würde plötzlich ein altes Musikstück an einem Ort gespielt, wo es vorher nie Musik gegeben hatte. Erst später, als sie hellwach in harten Betten lagen und den nächtlichen Straßenbahnen lauschten, sagte Rudi: »Sie war eine gute Kellnerin, Lev. Vielleicht sollten wir uns darum kümmern, während wir hier sind: die Telefonnummern von Menschen notieren, die du eventuell später einstellen könntest.«
    Bei leichtem Schneefall fuhren sie am nächsten Morgen die engen Straßen von Baryn auf und ab, parkten den Tschewi, wo immer es möglich war, häufig mit zwei Rädern auf dem Gehsteig.
    »Der Anblick tut mir in der Seele weh«, sagte Rudi. »Der Wagen sieht ja aus wie eine Nutte, die ihr verdammtes Röckchen hebt, oder wie ein Hund, der in den Rinnstein pisst. Also, ich sag dir eins, Kamerad, es hat keinen Sinn, ein Scheißlokal zu nehmen, wo man nicht parken kann.«
    Die drei Läden, die ihnen gezeigt wurden, standen schon seit dem Sommer oder dem vorletzten Jahr leer und wirkten feucht und dunkel. Keiner der drei hatte irgendeine Ähnlichkeit mit dem Klaviergeschäft aus Levs Träumen. Das Einzige, was ihn etwas aufmunterte, waren die niedrigen Mieten. Allmählich festigte sich in ihm die Hoffnung, dass das Geld, das er besaß − beinah 12 000 Pfund −, in dieser Stadt lange reichen würde.
    Am späten Nachmittag, auf dem Rückweg zum Hotel Kreis, sagte Lev: »Mir ist gerade etwas eingefallen. Lydia hat mir von einem echten Klaviergeschäft in der Nähe vom Marktplatz erzählt. Lass uns das suchen.«
    »Lev«, sagte Rudi, »ich dachte, du hast gesagt, du bist kein Träumer mehr.«
    »Nein, das habe ich nie gesagt. Träume haben mich am Leben gehalten.«
    Sie parkten auf dem Platz, vor der Brasserie Baryn, und fragten einen Mann, der dem Mathematikprofessor, dem

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