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Der weite Weg nach Hause

Der weite Weg nach Hause

Titel: Der weite Weg nach Hause Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rose Tremain
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um das Eis zu schmelzen. Und beim Reden begann er, die Geschichte mit neuen Details auszuschmücken, als wäre er ein Schauspieler, der über ein Thema improvisierte, und er spürte die Kraft der Erzählung − ihre Katastrophen und ihre komischen Momente und die Art, wie sie auf einen guten Ausgang zusteuerte −, und als sie zu Ende war, sah er, dass sie Tom und Larissa derart gepackt hatte, dass danach keine andere Unterhaltung möglich schien und es ganz still im Zimmer wurde. Das fand Lev sehr befriedigend, und er dachte, dass die bedeutsamen Augenblicke seines 42-jährigen Lebens so häufig anderen, diese wenigen vergangenen Minuten jedoch ihm allein gehört hatten.
    Bald darauf schlug eine Kirchturmuhr irgendwo in den steilen Straßen von Muswell Hill Mitternacht, und Larissa stand auf und begann, die Weingläser und die Kaffeetassen einzusammeln.
    Lev drückte seine Zigarette aus. »Ich muss gehen«, sagte er. »Danke für das wunderbare Essen.«
    Er sah, wie Lydia besorgt zu Larissa schaute. Larissa bemerkte den Blick und wandte sich an Tom. »Ich schlage vor, dass wir auf dem Sofa ein Bett für Lev machen«, sagte sie. »Was denkst du, Tom? Es ist zu spät, um noch irgendwo was zum Schlafen zu finden.«
    »Ja«, sagte Tom fröhlich. »Gute Idee.«
    »O ja!«, platzte Lydia heraus und presste die Hände fest zusammen. »Das wollte ich auch gerade vorschlagen, habe es aber nicht gewagt. Ich finde, ein Lager auf dem Sofa ist eine gute Lösung. Dann kann ich morgen früh ein bisschen für Lev übersetzen.«
    Levs Kopf ruhte jetzt auf sauberen Kissen, und er war mit einem weißen Laken und einer Schottenkarodecke zugedeckt. Er ließ das Fenster offen stehen und die Vorhänge zurückgezogen, damiter beim Einschlafen in die Nacht hinausschauen konnte. Er hörte Flugzeuge vorüberfliegen.
    Gegen drei Uhr wurde er von einem Trupp junger Männer geweckt, die betrunken auf der Straße grölten. Er versuchte zu verstehen, was sie brüllten.
    »Scheiße!«
    »Scheiße, genau!«
    »Verdammte Fotze!«
    »Verdammte Scheißfotze!«
    Langsam zogen sie weiter und kickten eine Dose die Straße entlang. Lev hörte, wie jemand sich erbrach.
    Das Paradies von Muswell Hill.
    Jetzt war Lev hellwach. Er griff nach seinem Zigarettenpapier. Gerade, als er überlegte, ob Lydia wohl den Lärm gehört hatte, ging die Zimmertür auf, und er sah sie dort im Morgenrock stehen.
    »Lydia? Was ist los?«
    »Entschuldigung«, sagte Lydia. »Aber ich konnte nicht schlafen. Ich komme mir so schlecht vor.«
    Lev richtete sich auf und knipste eine Lampe an. Lydias Morgenrock war aus rosafarbenem, gestepptem Satin, und ihre Pantoffeln waren weiß und flauschig. Ihr Gesicht glänzte.
    »Ich komme mir so schlecht vor, Lev, weil wir Sie überhaupt nicht beachtet haben.«
    »Wie meinen Sie das?«, sagte Lev.
    »Wir hätten mehr über Ihre Arbeit reden und versuchen sollen, Pläne für Sie zu schmieden. Und als ich diese Leute auf der Straße brüllen und fluchen hörte, fiel mir ein, wie grauenhaft die Straße sein kann und dass Sie die ganze Zeit da draußen waren und wir Ihnen gestern Abend in keiner Weise zu helfen versucht haben.«
    »Sie haben mir geholfen«, sagte Lev. »Sie haben mir ein wunderbares Essen beschert ...«
    »Ich meine, für die Zukunft«, sagte Lydia. »Ich möchte, dass Sie eine Zukunft haben.«
    Lydia durchquerte das Zimmer und setzte sich vor Levs Sofa auf den Fußboden. Auf der Straße war es wieder still geworden, und Lev konnte einen Nachtvogel in einem der dunklen Gärten leise singen hören. Er begann, sich eine Zigarette zu drehen. Lydia berührte ihn am Arm.
    »Ich würde gerne versuchen ...«, sagte sie. »Ich würde Ihnen gerne helfen und nah bei Ihnen sein, Lev«, flüsterte sie.
    Lev war froh, dass er die Zigarette hatte. Er zündete sie rasch an und inhalierte.
    Lydias Gesicht war sehr nahe an seinem. »Ich weiß, dass Sie das vielleicht nicht wollen werden«, sagte Lydia. »Ich weiß, dass Sie immer noch um Ihre Frau trauern. Das respektiere ich. Aber ich habe mir gedacht, ich habe jetzt eine gute Arbeit. Ich könnte Ihnen helfen ...«
    »Das ist liebenswürdig«, sagte Lev. »Wirklich liebenswürdig. Und ich freue mich über Ihre Stelle bei Maestro Greszler. Aber das ist Ihr neues Leben, Lydia, und morgen muss ich Ihrem Beispiel folgen und meines finden.«
    »Ich meine nicht Geld«, sagte Lydia nervös. »Ich meine einfach, dass wir einander ein bisschen helfen. Ein bisschen Zeit miteinander verbringen

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