Der weite Weg nach Hause
und setz dich. Ich mache die Gasheizung an, wenn dir kalt ist.«
Sehr stumm, sehr langsam trennte Angela sich von ihrem Mantel, den Christy im Flur aufhängen ging. Er rief, er werde jetzt Kaffee kochen.
Angela starrte Lev und Sophie an. Lev fiel auf, dass Angelas Haut, im Gegensatz zu Christys malträtiertem Gesicht, makellos war wie die Haut von Diana, Princess of Wales. Er sah aber auch eine Frau vor sich, deren Jugend im Schwinden begriffen und die sich dessen bewusst war.
»Also ...«, sagte sie.
Sie sah sich um, wusste nicht, wohin sie sich setzen sollte. Als hätte sie vergessen, dass sie selbst die meisten Möbel aus dieser Wohnung mitgenommen hatte.
Lev bot ihr seinen Stuhl an und stellte sich ans Fenster, wo die Wintersonne die staubigen Netzvorhänge grau aussehen ließ.
Sophie sagte: »Sie kennen also Silverstrand, Angela?«
»Ja«, sagte Angela. »Natürlich. Ich bin da geboren.«
»Ach so. Das hat Christy uns nicht erzählt.«
»Na ja, von Silverstrand gibt es nicht viel zu erzählen. Das Meer ist fast immer grau und voller Dreck. Ich war froh, als meine Eltern wegzogen.«
»Aber Kinder mögen das Wasser«, sagte Sophie. »Ich jedenfalls. Wir sind immer nach Hove gefahren. Haben da unseren gestreiften Windschutz aufgebaut ...«
»Wie wollen Sie denn nach Silverstrand kommen? Ich lasse Frankie nicht in ein Auto steigen, wenn Christy fährt.«
»Mit dem Zug«, sagte Sophie. »Umsteigen in Ipswich. Dauert nur anderthalb Stunden. Und wir haben schon für Zuckerwatte gespart, nicht, Lev?«
»Ja. Weil ich das noch nie probiert habe. Ich bin wie ein Kind ...«
Angela setzte sich jetzt so, dass sie Lev anschauen konnte. Sie trug ein Wollkleid, und sie zog ständig den Saum herunter und versuchte, ihre fleischigen Knie zu verstecken.
»Kaffee ist fast fertig!«, rief Christy, und Lev konnte die Panik in seiner Stimme hören.
Lev zog das Bild von Maya aus seiner Brieftasche, ging zu Angela hinüber und hielt es ihr hin. »Meine Tochter«, sagte er. »In meinem Land. Maya. Fünf Jahre.«
Angela nahm das Foto, blickte es einen Moment lang ausdruckslos an, gab es ihm dann zurück. »Hoffentlich schicken Sie Geld nach Hause«, sagte sie herablassend.
»Ja«, sagte Lev.
»Lev hat ganz viel Übung im Umgang mit Kindern«, ließ Sophie Angela wissen.
»Übung?«, sagte Angela. »Das ist ein komisches Wort.«
»Wieso?«
»Als wäre die Sorge für ein Kind etwas wie Fahrradfahren. Es kommt doch darauf an, dass man weiß, wie man sich in seinem eigenen Leben zu benehmen hat.«
Christy erschien mit dem Kaffeetablett. Seine Hände zitterten,und Lev konnte die Becher klappern hören. »Alles okay?«, sagte er.
Lev trat neben ihn. »Christy«, sagte er. »Ich gieße den Kaffee ein. Technik vom Chef.«
»Danke, Kumpel«, sagte Christy. Dann plapperte er drauflos: »Eigentlich wollte ich Kuchen kaufen, Angie ... Aber ich dachte, dass du vielleicht keinen ...«
»Hast gedacht, ich sei dick genug? Da hast du recht. Tony sagt dauernd, ich sei zu dick. Aber dann geht er ständig mit mir essen, und zwar teuer. Ich sage jedes Mal: ›Tony, ich dachte, du willst, dass ich dünner werde, und jetzt sieh dir das an, noch mehr Champagner, noch mehr leckere Soßen. Wie soll ich denn dabei abnehmen?‹«
»Wer ist Tony?«, fragte Sophie ziemlich direkt.
Angela wandte sich ihr zu. »Tony?«, sagte sie. »Eigentlich geht Sie das ja nichts an, aber Tony ist mein Partner.«
»Aha.«
»Er ist in der Immobilienbranche.«
»Ach ja? Oh, wie schön.«
Lev hörte, wie sich in Sophies Stimme ein Lachen ankündigte. Und er spürte, wie die Situation auf eine Katastrophe zusteuerte. Er brachte Angela rasch ihren Kaffee und hockte sich neben ihren Stuhl.
»Angela«, sagte er. »Ich bin jetzt Mieter bei Christy viele Monate. Fast nie mehr trinkt er. Das schwöre ich. Aber er ist, wie ich, so traurig über seine Tochter, so traurig über Frankie ...«
»Er braucht nicht traurig über Frankie zu sein. Er sollte traurig über sich selbst sein.«
»Dies meine ich. Entschuldigung, mein Englisch ist nicht gut. Ich meine, dass Frankie fehlt ... Frankie fehlt ihm so sehr.«
»Das sagt er jetzt vielleicht, aber was macht er, als wir noch alle hier zusammenlebten? Haut verdammt einfach die ganze Zeit ab − aber nicht zur Arbeit, so gut wie nie zur Arbeit. Hautab in die Kneipe. Sie hat mich dauernd gefragt: ›Wo ist mein Papi?‹ Und was sollte ich da sagen? Dann kommt er nach Hause und kotzt den Flur voll. Das war ein absolut
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