Der Welt den Ruecken - Erzaehlungen
aber sie vertrugen sich untereinander und lernten sich besser kennen. Block fand das idiotisch und sagte: Sobald sie aus der Schule raus sind, schmeißen die einen Brandsätze in die Häuser der andern, du wirst schon sehen. Ich bin überzeugt davon, daß meine Kinder das nicht tun, weil sie bei mir etwas anderes lernen, aber Block war immer Pessimist, durch und durch. Es gab keine guten Möglichkeiten, nur schlechte, und mir war schleierhaft, warum er heute gekommen war und was er von mir wollte. Er wandte sich ab und ging die Straße hinunter, und ich war froh, nicht aufgemacht zu haben, und wunderte mich, daß mich mein Leben heute anscheinend gleich doppelt einholte.
Ich setzte mich wieder an den Küchentisch, machte mir eine Flasche Wein auf und überlegte, was ich eigentlich vom Leben wollte. Einen Mann? Eine richtige Familie? Bestimmt nicht. Ein paar mehr vernünftige Menschen um mich herum – das wäre es schon gewesen, aber mir fiel ein, wie Gary Cooper im Wilden Westen in eine Stadt einreitet und brummt: Städte bedeuten Menschen, und Menschen bedeuten Ärger... Ich wollte keinen Ärger. Nur ein paar gute Freunde – aber möglichst auch nicht zu nah. Ich wollte keine Anrufe von hysterischen Freundinnen, die mit über vierzig noch schwanger wurden und mir selig ihre Fruchtwasseranalysen mitteilten, ich wollte nicht diese Anrufe von Sabine mitten in der Nacht, betrunken – du, hör mal, ich lese gerade ein Buch über Jeanne d’Arc, wußtest du, daß die völlig zu Unrecht verbrannt worden ist? Das macht mich total fertig, aber es ist wissenschaftlich erwiesen, völlig zu Unrecht... Jaja. Ich wollte nicht mehr zu Geburtstagen und Hochzeiten eingeladen werden, das war alles Verschwendung von Lebenszeit. Ich wollte auch keinen Mann mehr an meinem Küchentisch haben, seine Wäsche nicht auf dem Fußboden in meinem Bad, ich wollte nicht jede Nacht einen Mann in meinem Bett haben. Nicht jede. Aber wie macht man das, nur ab und zu? Wie wird man allein alt und doch nicht allein? Tom würde mich in drei Jahren verlassen, dann hatte er sein Abitur, zweifellos ein gutes Abitur, und dann würde er Sport studieren oder Zahnmedizin, irgendeine Ulrike heiraten, vielleicht Oberbürgermeister von Dinslaken werden, entzückende Kinder kriegen und die der Oma in den Ferien schicken, und die Oma wäre ich – nein, das alles wollte ich auch nicht. Ich wollte ich sein, mit meiner Art, zu leben und Unordnung zu machen, zu rauchen, zu arbeiten, zu trinken – »tanzen, ja, aber die schweren Schuhe anbehalten« – das hatte ich irgendwo gelesen, und es gefiel mir. Ich wollte weinen, wenn Bob Dylan sang »It’s alright, Ma, I’m only bleeding« und wenn im Fernsehen glückliche Mutter-Tochter-Beziehungen oder grausige Tierbilder gezeigt wurden, und ich wollte das alles tun, ohne daß mich jemand dabei spöttisch ansah und fragte: Großer Gott, spielen die Hormone mal wieder verrückt?
Kein Rupert mehr, keine FAZ. Kein Block mehr mit seinen schwarzen Cowboystiefeln mit schrägen Absätzen und nach oben gebogenen Spitzen. Bei den Mongolen, das hatte mir ein kirgisischer Junge in meiner Klasse mal erklärt, bedeuten nach oben gebogene Stiefelspitzen, daß sie die Erde – das Antlitz Gottes – nicht aufreißen wollen mit ihren Schuhen. Ein schönes Bild – aber warum trug Block, der mißgestimmte Atheist, mitten in Köln Cowboystiefel mit nach oben gebogenen Spitzen? Absurd, das alles. Ich hatte es satt. Ich war alles Diskutieren darüber leid, wie ich mein Leben einzurichten hätte. Ich sehnte mich nach jemand, der mich so nähme, wie ich war, mit stumpfem Gefieder, Fell mit Schuppen, grauer Seele, und der mich wieder zum Glänzen brächte und zum Leuchten, wie früher. Ich wollte ich sein, nicht mehr Gattin, Mutter, Tochter, noch nicht Oma, einfach nur ich.
Und es klingelte schon wieder. Im Klassik Radio hudelte gerade ein Pianist die Appassionata herunter, und mir fiel Lenin ein, der gesagt hatte: Ich wäre auch sehr gern gerührt von der Appassionata, aber dazu ist jetzt keine Zeit, es ist Zeit, Köpfe abzuschlagen. Ich hätte gern dem Kerl, der da unten klingelte, den Kopf abgeschlagen.
Ich nahm meinen Wein und die Zigaretten und ging ins Wohnzimmer, es war inzwischen schon Abend geworden. Vielleicht, dachte ich vergnügt, kommt ja auch gerade heute mein Ehemaliger, der intellektuelle Wichspinsel, aus Guernavaca zurück und klingelt auch mal eben! Vielleicht stehen sie jetzt alle drei dort unten und reden über mich
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