Der Welt den Ruecken - Erzaehlungen
Illich in Guernavaca und lehrt irgendwelche alternativen Wege der Medizin oder so.«
»Wichspinsel«, sagte Karl zufrieden. »Langweiler. Sei froh, daß du den los bist. Tom ist ein guter Junge, der wird nicht so spießig, den verderben wir beide schon ein kleines bißchen.«
Wir mußten lachen und prosteten uns zu.
»Weißt du was«, sagte er, »ich glaube, ich bin drüber weg, daß Marlene mich verlassen hat.«
Ich wollte ihn unterbrechen, doch er hob die Hand. »Moment«, sagte er, »laß mich das erklären. Wirklich, ich hab’s verkraftet, daß sie weg ist. Was ich noch nicht verdaut habe, ist, wie blöd ich war. Ich hätte es merken müssen. Ich hätte es einfach früher merken müssen.«
»Das mit dem Redakteur?« fragte ich.
»Nein«, sagte er, »wie unglücklich sie bei mir war. Was für ein Idiot ich war. Ich hätte das merken müssen, aber ich merk ja nie was. Warum hast du nicht mal was gesagt?«
Ich protestierte. »Karl«, sagte ich, »wie oft hab ich dir gesagt, daß du mit Marlene nicht so umspringen sollst, wie oft?«
»Jaja«, sagte er. »Ist schon gut. Soll sie doch glücklich werden mit ihrem Kulturdeppen.« Er nahm einen Schluck Bier, sah mich an und sagte: »Dich schrei ich doch auch an und du bist nicht dauernd beleidigt.«
»Das ist was anderes«, sagte ich.
Karl gab mir einen Kuß auf die Wange. »Wir beide haben kein Glück mit unseren Beziehungen, was?« lachte er, und ich dachte an Block.
Block hatte vor genau zwei Wochen die Tür zugeknallt und gesagt: »Du kannst mich mal, Irene.«
Und dann war er verschwunden mit seinen Bücherkoffern und seiner Reiseschreibmaschine, und ich saß wieder allein in meiner großen, dunklen Wohnung, in der alle Pflanzen eingingen und ich auch. Allein mit Tom, der sich mit Block nie vertragen hatte und sich in seinem Zimmer einschloß, wenn wir in der Küche stritten. Mama, was willst du mit einem, der nicht mal einen Computer bedienen kann, hatte er immer fassungslos gesagt und Blocks Reiseschreibmaschine angesehen wie ein Fossil aus vergangenen Jahrhunderten.
Anfangs hatte ich noch auf einen Anruf gewartet, auf einen Brief, ich hatte gedacht, ich würde ihn einfach in einer unserer Kneipen treffen und sagen: Hallo, Block!, und er würde sagen: Da bist du ja, Irene, und dann würden wir ein bißchen über alles reden. Nichts da. Block war und blieb weg, und Karl sagte spöttisch: »Vielleicht ist er ja mit einer Kulturredakteurin vom WDR auf Martinique? Vielleicht ist da ein Nest?«
Wir verließen die mexikanische Bar. Es hatte zu regnen angefangen. Wir radelten nebeneinander her durch den kalten Sommerregen, und als wir an diesem neuen, postmodernen Glitzerhotel vorbeikamen, fuhr Karl auf die gläsernen Schiebetüren zu, die sich lautlos öffneten und ihn einließen mit seinem nassen, verdreckten schwarzen Hollandrad. Er radelte klingelnd und grüßend einmal durch die ganze Hotelhalle, um die lederne Sitzgruppe herum, aus der ein paar ängstliche japanische Geschäftsleute schnatternd und fuchtelnd aufsprangen. An der Rezeption entstand Aufruhr, der Empfangschef eilte herbei und schaute über seine Halbbrille, fassungslos, aber Karl radelte zurück zum Eingang, hinterließ tiefe Dreckspuren auf dem hellgrauen Auslegeteppich, kam wieder zur Tür heraus, und wir fuhren weiter. Hinter uns zeterte der Empfangschef, und Karl fuhr freihändig, reckte die Arme in die Luft und rief: »Ha! das hat gut getan!«
Er sah mich an und sagte: »Ich träum neuerdings manchmal von Gewalt, und dann leiste ich mir ab und zu wenigstens so was.«
Zu Hause fand ich ein Telegramm von Rupert. Mit Rupert hatte ich vier Jahre zusammengelebt, vor Block. Es war gutgegangen, alles in allem, aber dann hatte Rupert sich verliebt, geheiratet, war weggezogen, und ich hatte nichts mehr von ihm gehört. In dem Telegramm stand: Bin Samstag in der Stadt, würde dich gern sehen, Rupert.
Es war Freitagnacht. Mein Kopf war schwer von zuviel Tequila und Corona, und ich sah in den Spiegel. Was ich sah, gefiel mir nicht: nasses Haar, müde Augen, die alte Lederjacke zu knapp und schon kaputt in den Nähten. Aber ich hing so an dieser Jacke und konnte mich nicht von ihr trennen – wenn Tom sie wenigstens tragen würde, aber er ekelte sich geradezu davor und trug nur T-Shirts mit Anti-Drogen-Aufdruck, Adidas-Jacken und verkehrt herum aufgesetzte Baseballkappen. Ich liebte Tom, aber ich fragte mich oft, warum ausgerechnet ich einen Sohn mit ausrasiertem Nacken haben mußte. Er sah so
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