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Der Welt den Ruecken - Erzaehlungen

Der Welt den Ruecken - Erzaehlungen

Titel: Der Welt den Ruecken - Erzaehlungen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elke Heidenreich
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ich zum Briefkasten runter – niemand mehr da. Ich zog meine Zeitung raus, und da klebte ein Zettel mit seiner korrekten Schrift: Wo bist du? Versuche es gegen drei noch mal, Rupert.
    Das war gut, gegen drei, da hatte ich noch zwei schöne Stunden, um mich rundum aufzumöbeln. Ich konnte mich nicht auf die Zeitung konzentrieren, ich mußte immer an Rupert denken. Vier Jahre, und alles in allem ganz gute Jahre, wenn auch ohne große Leidenschaft. Rupert hatte Theater gespielt, meist in kleinen Kellertheatern, zum Beispiel 342mal ›Die offene Zweierbeziehung‹, immer wieder ›Die offene Zweierbeziehung‹, ich frage mich, wie ein Mensch das aushält? Bei der Premiere fand ich ihn phantastisch – welches Temperament auf einmal! Wie laut er sein konnte, wie lebendig! Ich war verblüfft und stolz auf ihn und wieder neu verliebt. Als ich es – Wochen später – mit Freunden zum zweitenmal sah, fand ich es schon peinlich. Ich sah ihn vor mir, wie er zu Hause im Unterhemd am Küchentisch saß und die FAZ las, ganz sorgfältig, Seite für Seite, alles mit der gleichen Intensität, oder sagen wir mal: alles mit der gleichen gründlichen Langeweile – Politik, Wirtschaft, Kultur, Reiseblatt. Stundenlang trank er Tee, aß Brot mit Camembert und Schnittlauch, und ich dachte an unsere ereignislosen Nächte. Und auf der Bühne sauste er herum wie ein Ehrenmitglied der tanzenden Derwische, war witzig, war schlagfertig – aber das war ja die Rolle, das war Dario Fo, nicht er. Trotzdem fand ich es empörend, und als ich ihn ein halbes Jahr später zum drittenmal sah, habe ich es nicht mehr ausgehalten, diesen Mann, der mich neben sich fast verhungern und vertrocknen ließ, derart ausgelassen auf der Bühne herumspringen zu sehen, und bin in der Pause gegangen. Später spielte er an einem anderen Kellertheater in Gabriel García Marquéz’ Stück ›Liebestirade gegen einen sitzenden Mann‹ den Mann – er mußte zwei Stunden still mit dem Rücken zum Publikum auf einem Hocker sitzen, und eine Frau schrie und schimpfte auf ihn ein, schluchzte und klagte an und breitete ihr ganzes beschissenes Leben vor ihm aus, und er saß und schwieg. Ich konnte mich mit der Frau identifizieren. Zwischen Rupert und mir brach Feindseligkeit aus, wir spielten zu Hause weiter: Ich schrie, er saß im Unterhemd und las die FAZ, und eines Tages eröffnete er mir, daß er sich in diese Schauspielerin, die ihn da auf der Bühne jeden Abend fertigmachte, verliebt habe, daß sie ein Kind von ihm erwarte, daß er sie heiraten werde. Das war’s dann.
    Es klingelte wieder. Welchen Grund gab es eigentlich auf dieser weiten, unbegreiflichen Welt, welchen Grund gab es für mich, auf dieses Klingeln von diesem Rupert zu reagieren? Nicht einen einzigen.
    Ich kochte mir einen schönen, starken Kaffee, rauchte eine gute, starke Zigarette und ließ es klingeln. Wahrscheinlich hatte Rupert es auch mit dem Telefon versucht, aber das Telefon stand schon lange in Toms Zimmer, und wenn er nicht da war, stöpselte ich es aus. Ich hasste dieses Telefonklingeln, das mich störte, wenn ich träumte, las oder Musik hörte, ich wollte nicht mehr für jeden erreichbar sein, und Karl hatte für Notfälle einen Schlüssel, damit ich nicht wie die berühmten unentdeckten Rentner acht Wochen tot in der Wohnung liegen würde.
    Es klingelte Sturm, ich wurde wütend. Was für eine Anmaßung, dachte ich, sich mit Sturmgeläute wieder in mein Leben drängen zu wollen, nachdem du es so sang- und klanglos verlassen hast, du kannst mich mal.
    Und dann war es ganz still, nur das Geräusch, mit dem ich die Zigarette ausdrückte. Das war geschafft.
    Ich ging zum Fenster und sah vorsichtig hinter der Gardine nach unten. Auf der Straße stand Block, nicht Rupert, und er sah hoch. Block, schmal und ganz in Schwarz, wie immer, Block, Zeitgeistschreiber bei einer Zeitgeistzeitung, trockener Alkoholiker, chronisch schlecht gelaunt, Block, der mich immer nur belehrt hatte: Ich las die falschen Bücher, ich hörte die falsche Musik, alles an mir war falsch, vor allem mein Beruf als Lehrerin an einer Gesamtschule. Total falsch. Aber ich liebte meinen Beruf, und die Kinder liebten mich. Wir hatten einen sehr hohen Ausländeranteil an unserer Schule, das ist nicht einfach, aber ich hatte es gut im Griff. Ich frühstückte manchmal mit den Kindern – ließ jeden von zu Hause das mitbringen, was bei ihm gefrühstückt wurde, und dann wurde getauscht. Es war eine große Sauerei im Klassenzimmer,

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