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Der Welt den Ruecken - Erzaehlungen

Der Welt den Ruecken - Erzaehlungen

Titel: Der Welt den Ruecken - Erzaehlungen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elke Heidenreich
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und wollen hoch in meine Küche, und ich soll Bratkartoffeln und Spiegeleier machen für Rupert, den alten Langweiler, für Block, der schon mit elf Dostojewski las und mit vierzehn bereits drei halbherzige Selbstmordversuche hinter sich hatte, für meinen Ehemaligen, der unentwegt damit beschäftigt war, die Welt im Großen zu verändern, nur im Kleinen kam er nicht mit ihr zurecht. Vielleicht wollte er ja auch ausgerechnet heute mal seinen Sohn wiedersehen, den blonden Thomas Hermann Friedrich, der zum Glück so ganz nach Vaters Familie kommt und so gar nicht nach seiner konfusen Mutter! Bedaure, meine Herren. Keine Lust auf FAZ-Leser und Zyniker, keine Lust auf Weltverbesserer und Väter, der Sohn ist außer Haus und die Mutter dankt ohne Interesse.
    In diesem Augenblick drehte sich in meiner Wohnungstür ein Schlüssel. Tom konnte das noch nicht sein, außerdem kam er nie, ohne vorher auf eine bestimmte Weise zu klingeln – er wollte mich nicht in zweifelhaften Situationen überraschen. Rupert hatte mir den Schlüssel damals zurückgegeben. Mein Ehemaliger hat zu dieser Wohnung nie einen Schlüssel besessen, und Block – Block sollte ja nicht die Frechheit haben, hier mit einem Schlüssel ganz selbstverständlich wieder hereinzukommen, wo er so arrogant rausgerauscht war, ich würde ihn hinauswerfen, ich würde ihm die Tüte mit seiner Baudelaire-Ausgabe in perlgrauem Ziegenleder an den Kopf schmeißen, die noch im Flur stand und wegen der er überhaupt wahrscheinlich heute gekommen war, ich würde...
    Es war Karl. Er stand in der Tür, klein, kräftig, er sah verwirrt aus.
    »Warum machst du nicht auf«, fragte er, »bist du tot?«
    »Ich glaube nicht«, sagte ich, »aber ich will meine Vergangenheit nicht reinlassen.« Und ich war so glücklich, Karl zu sehen.
    »Doch«, sagte Karl, »laß sie rein. Laß mich rein und mach sofort den Fernseher an, da läuft eine lange Bob-Dylan-Nacht, all die Freaks singen nur seine Songs, und das kann ich einfach nicht alleine gucken, das kann ich nur mit dir.«
    Er holte zwei Bier aus der Küche und ich schaltete den Fernseher ein.
    Willie Nelson erschien mit seinen langen grauen Zöpfen und seinem guten Gesicht, und er sang:
     
    »What was it, you wanted?
Could you say that again?
I’ll be back in a minute,
could you get it together by then?«
    »Ja«, sagte Karl, »was war’s denn, das ich mal wollte, ich hab’s vergessen, sag du mir’s, Willie!«
    Ich legte den Arm um Karl und sagte: »Guck Willie Nelson an, wie der sich immer treu geblieben ist, und jetzt guck dir an, was Amerika und seine Zahnärzte aus Kris Kristofferson gemacht haben!«
    Kristofferson war ein angefetteter Biedermann mit entsetzlichem Kunstgebiß geworden, aber immerhin tröstete er die weinende Sinead O’Connor, die ausgebuht wurde, weil sie vor einiger Zeit öffentlich das Bild des Papstes zerrissen hatte. Das Publikum ließ sie nicht singen, Kristofferson führte sie weg, und ich war empört.
    »Warum gehen solche Leute in ein Dylankonzert«, fragte ich, »wo ist Dylan, warum läßt er das zu?«
    »Er läßt es nicht zu«, sagte Karl, »die Welt ist dumm und bigott, wer weiß das besser als er, er wird einen Song daraus machen.«
    Karl und ich tranken unser Bier, und Eric Clapton und Lou Reed hatten so kurze Haare wie Tom und sangen trotzdem »Don’t think twice, it’s alright«, und ich dachte, daß ja vielleicht doch noch nicht alles verloren wäre und daß sich die Zeiten eben einfach änderten, aber some things never change, einiges blieb Gottseidank wie immer.
    Johnny Winter kam und mißhandelte seine Gitarre so wie seinen tätowierten Körper. Er war endlos lang und mager, leichenblaß, hielt die Albinoaugen geschlossen, das weiße Pferdehaar hing ihm lang über den Rücken und er sang »Highway 61 Revisited« und legte ein Gitarrenfeuerwerk hin, daß wir zu atmen vergaßen. Dann trat diese Mischung aus Zwerg Nase und Patti Smith auf, Ron Wood von den Stones mit seinem hundertjährigen Raubrittergesicht. Er trug ein gelbes Rüschenhemd und nuschelte »Seven more days, all I’ve got to do is survive«, und ich dachte an unsere Ängste und Träume und Hoffnungen, und ich hielt mich an Karl fest, der mich schon gekannt hatte, als ich erst achtzehn war, und der meine Mutter noch gekannt hatte und der wußte, daß diese Wunde, die Mutter heißt, sich nie schließt und ewig in mir blutet. Karl.
    Und dann erschien der Meister persönlich. George Harrison sagte ihn an:
    »Some call him

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