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Der Welt den Ruecken - Erzaehlungen

Der Welt den Ruecken - Erzaehlungen

Titel: Der Welt den Ruecken - Erzaehlungen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elke Heidenreich
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brav aus! Nataschas Sohn hatte Rastalocken und spielte Bongos in einer Reggaeband, und seine Freundinnen brachte er über Nacht friedlich mit nach Hause. Tom dagegen versteckte seine Ulrike vor mir, weil er sich für mich und mein Lebenschaos schämte. Ihr Vater war Zahnarzt, sie trug Designerjeans und spielte mit Tom Tennis – mehr wußte ich auch nicht von ihr, und wahrscheinlich waren sie keusch, würden eines Tages heiraten und Tom würde Schwiegervaters Praxis übernehmen.
    Die Wohnung sah ziemlich schrecklich aus. Seit Block weg war, hatte ich alles stehen- und liegenlassen, den Müll, die alten Zeitungen, Berge von leeren Flaschen. Ich hatte nicht geputzt, nicht gelüftet, gerade mal die wichtigsten Teller und Tassen gespült. Alle Aschenbecher waren voll, das Bett war grau und ungemacht, die Balkonpflanzen mal wieder eingegangen. Die Wohnung und ich, wir waren in keinem guten Zustand. Ich hatte die Wahl: entweder alles weitergammeln lassen und denken: bleib draußen, Welt – oder ich pack’s noch mal an und versuch zum ich weiß nicht wievielten Mal, aus meinem Leben noch irgendwas zu machen.
    Ich trocknete meine Haare, und als sie trocken waren, ging ich dann doch unter die Dusche und ließ mir bestimmt eine Viertelstunde lang heißes Wassser über Kopf und Körper fließen. Ich wurde warm, locker, das tat gut. Tränen und Wasser liefen mir übers Gesicht, und ich freute mich auf den Augenblick, in dem ich das Wasser auf eiskalt stellen würde, denn dann hätte ich es geschafft.
    Es kam hart und schmerzhaft, es war wie ein Schock, aber meine Haut straffte sich, meine Augen wurden klar, mein Kopf frei. Ich trocknete mich ab und zog etwas Bequemes an, dann öffnete ich weit die Fenster. Der Regen rauschte sanft und traurig, wie Joseph Brodsky ihn in einem wunderbaren Gedicht beschrieben hat – er sitzt am Küchentisch, denkt ans Altwerden, und der Regen ist für ihn »noch nicht Musik / doch auch schon nicht mehr Lärm«.
    Tom war mit seiner Schule auf Klassenfahrt. Ich war allein, und die nächsten Stunden waren großartig. Ich stellte Klassik Radio ein, obwohl sie da immer nur Häppchen senden, Kuschelklassik, nur zweite Sätze, nur ja nichts Aufrüttelndes oder Unbequemes, aber manchmal konnte ich genau das gut brauchen, sogar den zweiten Satz aus Mozarts armem Klarinettenkonzert, das die Welt auch erst wahrgenommen hat, nachdem es zur Filmmusik verhunzt worden war – Robert Redford hat, glaube ich, Meryl Streep in »Out of Africa« dazu die Haare gewaschen, mitten in der Steppe.
    Ich fegte und putzte, ich warf vertrocknete Blumen und alte Zeitungen weg, ich brachte die leeren Flaschen in den Keller, ich hängte meine Kleider auf Bügel oder warf sie in den Sack für die Reinigung. Ich machte mein Bett ordentlich und dachte dann: na, man weiß nie, was kommt – zog die Laken ab und bezog es frisch. Ich spülte, polierte die Waschbecken in Küche und Bad und ich sang mit bei der blöden Arie ›Vater, Mutter, Schwestern, Brüder hab ich auf der Welt nicht mehr‹ und war froh darüber, daß das stimmte, denn das hätte mir noch gefehlt, meine Mutter, die mir zugesehen und gesagt hätte: Irene, Irene.
    Es ging mir gut, endlich wieder. Um drei Uhr früh fiel ich ins Bett, bei weit geöffnetem Fenster, und ich schlief tief und selig und traumlos.
    Um zehn Uhr wurde ich wach, weil es klingelte. Nein, dachte ich, nicht mit mir, nicht jetzt, nicht so früh. Erst will ich mich anziehen. Erst will ich frühstücken. Erst will ich die Zeitung lesen, dann bin ich bereit für die Menschheit, dann erst.
    Ich blieb liegen und ließ es klingeln. Der Briefträger? Rupert, jetzt schon? Egal. Ich streckte mich in meinem Bett aus und freute mich über die Sonne, die gerade noch so bei mir reinschaute – gleich würde sie für den Rest des Tages über die Dächer verschwinden. Ich schlief wieder ein und wurde wach durch erneutes Klingeln – es war nach eins. Rupert! dachte ich, verdammt, jetzt steht der vor der Tür, und ich liege noch im Bett, und noch dazu in einem T-Shirt von den Toten Hosen. Nein, nicht aufmachen, pardon, Rupert. Ich reckte mich, stand auf, wusch mich und machte mir aus den Resten, die noch da waren, ein Frühstück. Schon ein Uhr, Samstag, und morgen abend würde Tom zurückkommen – ach, irgendwas findet sich immer, Tiefkühlpizza, Spaghetti, H-Milch, jetzt würde ich mich jedenfalls nicht mehr für ein paar Eier und ein bißchen Suppengrün hinter eine Kassenschlange klemmen.
    Vorsichtig ging

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